Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
wieder die weichen Flügel, und Federn streiften mein Gesicht. Beinahe wäre ich zusammengezuckt, so echt war es.
Sieh dir an, was das letzte Mal passiert ist, als du das Problem bei jemand anders abladen wolltest, Dru! Du hast Augustine angerufen, und alles schien wieder besser zu werden. Tja, und jetzt sieh dir an, wo du bist!
Es war eine Warnung, genau wie die ewigen Belehrungen meiner Gran. Schlicht, klar und ohne einen Haufen Schnörkel, die alles schwammig machten. »Kristallklar«, antwortete ich wie ferngesteuert. Zum ersten Mal im Leben klang ich so erschöpft und erwachsen wie Graves manchmal. Fühlte er dieses drückende Gewicht auch?
Wahrscheinlich. Ich wollte ihn so dringend sehen, dass meine Hände zu zittern drohten.
»Dann mache ich mich wieder auf den Weg.« Sie raffte ihre Akte zusammen, und ich blickte auf. Dylan sah besorgt aus, wie immer, und er starrte mich an, als wollte er, dass ich irgendetwas begriff. Seine Lippen waren fest zusammengepresst, und seine dunklen Augen wollten mir etwas mitteilen, das ich nicht decodieren konnte.
»Die Mitschrift. Darf ich die mal sehen?« Ich wollte nicht trotzig klingen, tat es aber wohl. Dylan fuhr tatsächlich zusammen, und Anna richtete sich kerzengerade auf.
Endlich begriff ich, was mir an ihrem Gesicht nicht gefiel. Sie sah aus wie das klassische beliebte Highschoolmädchen! Sie war nie eine Außenseiterin gewesen. Wir alle existierten bloß, um ihre Vollkommenheit zu spiegeln. Sie besaß dieselbe unfertige, gierige Schönheit, die ich von Cheerleadern und weiblichen Boa constrictors überall in Amerika kannte. Wäre sie kein Djamphir gewesen, hätte sie sich gewiss längst in eine übergewichtige geschniegelte Frau mittleren Alters mit herabgezogenen, verbitterten Mundwinkeln verwandelt. Die Sorte, die im Supermarkt einen Höllenaufstand wegen eines abgelaufenen Rabattcoupons oder einer Dose Mais veranstaltet, die fünfzehn Cent teurer ist, als sie dachte.
Die Sorte, die immer kriegt, was sie will, weil sie jeden anderen schamlos niedermacht. Einfach so.
»Die ist geheim, Miss Anderson. Wenn Christophe Sie kontaktiert, hören Sie sich an, was er zu sagen hat, merken es sich und geben es an einen der Berater weiter.« Mit einem brüsken Kopfnicken klemmte sie sich ihre Akte unter den Arm. Ihr Seidenkleid raschelte, als sie zur Tür ging. »Mein Bodyguard bringt mich zur Tür, Dylan. Danke.«
»Milady.« Wie er das Wort ohne Würgen herausbrachte, war mir schleierhaft. Sie rauschte davon. Ihre Absätze hallten in einem unangenehmen Stakkato auf dem Flur draußen.
Dann fiel die Tür hinter ihr zu. Die Spinnweben oben in den Bücherregalen wippten hin und her. Auch hier schimmelte die Deckenverkleidung.
Diese Schola fiel auf mehr als eine Art auseinander.
Dylan neigte seinen Kopf zur Seite und zog eine Braue hoch. Ich stand da, elend und schweißklamm. Mir war gar nicht bewusst, dass ich zitterte, bis ich mich wieder auf den Stuhl setzte – oder vielmehr hineinplumpste. Alles an mir bibberte wie Wackelpudding. Annas Duft verzog sich nur zögernd, bildete einen zähen Belag in meinem Mund und Hals, ganz besonders an jener Stelle am Gaumen, die bei normalen Leuten gar nicht existiert und an der ich Gefahr schmeckte.
Das Aroma ließ mich an eingelegten Ingwer denken, wie man ihn zu Sushi bekam. Ich fand immer, das Zeug schmeckte wie Parfum, und zwar wie ein schweres öliges Parfum.
Woran erinnert mich das? Ich schwöre, es erinnert mich an irgendwas! Aber die kleine Feder, die Erinnerungen aus ihren Automatenschächten in die Hirnsuppe warf, war offenbar verklemmt. Ich konnte nicht einen einzigen zusammenhängenden Gedanken fassen.
Die Treppe zu meinem Zimmer hinaufzugehen, stand mir wie eine grausame Ausdauerübung bevor. Aber dann fielen mir die Malaika ein, die zusammen mit Dads Brieftasche unter meinem Bett versteckt waren. Aus unerfindlichen Gründen war ich heilfroh, dass Moms Medaillon sicher unter meinem T-Shirt hing. Die Vorstellung, dass Anna es sah, widerstrebte mir zutiefst.
Dylans Schultern sackten ein. »Sie sind weg«, flüsterte er. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Was für eine Frage! »Ja.« Ich räusperte mich. »Bestens. Super. Nein! «
»Tut mir leid.« Er klang, als würde es ihm wirklich leidtun. Andererseits klang er immer so, als würde ihm alles leidtun. »Sie bestand darauf, dich zu sehen, und …«
Und was? Was zum Geier sollte das? Ich starrte die Stelle auf seinem Schreibtisch an, auf der die Akte gelegen
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