Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
jemand – vielleicht Christophe – Nachrichten auf mein Kopfkissen, wenn Vampire versuchten, mich umzubringen? Während ausgerechnet Ash, von allen in Frage kommenden Leuten (war Leute überhaupt der richtige Ausdruck für Werwölfe?), mich rettete?
Hatte Ash tatsächlich versucht, mich zu retten?
Endlich wurde mein Verstand wieder wach, leider viel zu spät. Und jetzt ist der Plan verschwunden. Was bedeutete, dass derjenige, der auf mich aufpassen sollte, ihn hatte verschwinden lassen, weil er wusste, dass ich angegriffen wurde.
Getötet werden sollte. Ich wurde nicht bloß angegriffen, sondern sollte umgebracht werden. Sprich’s aus, wie es ist, Dru!
Ich atmete langsam aus. Christophe. Sergejs Sohn. Er hatte recht, jemand wollte ihn töten. Aber auch er hatte mir nicht die ganze Wahrheit gesagt. Die ganzen Lügen häuften sich um mich herum, trieben mich in die Enge. Gefährliche Lügen.
Tödliche Lügen. Was heute Nacht geschehen war, hätte leicht mit meiner Ermordung draußen im Wald enden können.
Ich könnte morgen tot sein. Sogar im Schlaf ermordet werden. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper. Das Zimmer war kalt, und es war nicht meines.
Der eine Mensch, mit dem ich hätte reden können, der einzige, der mir hätte helfen können, diesen ganzen Wahnsinn zu begreifen, war unten in den Schlafsälen. Und ich fühlte mich außerstande, dort hinunterzugehen. Nicht jetzt.
Ich legte mich auf das Bett. Draußen war es Nacht und die Schola wach und munter. Der Nichtlärm von Leuten, die in einem Gebäude lebten, es mit ihrem Atem und Herzschlag füllten, flirrte in der Luft. Dennoch fühlte ich mich vollkommen, total allein. Noch einsamer, als ich mich je in einem Haus gefühlt hatte, wenn ich wartete, dass Dad zurückkam, und das wollte etwas heißen.
Kapitel 12
Z wei Tage später verzog sich endlich die Kaltfront aus Kanada. Eis schmolz, und der Fluss wurde zu einer gurgelnden Silberschlange anstelle eines platten grauen Bands. Alles wurde matschig statt halb gefroren. Gewitter zogen auf, schütteten Nacht für Nacht Regengüsse auf uns herab und verschwanden wieder. Dichte Wolken und trockener weißer Nebel dämpften das Tageslicht. Es war, als säße man in einer Glaskugel, denn ich sah das Wetter ja nur durch vergitterte Fenster.
Ich konnte nicht in meinem Zimmer bleiben. Dort fühlte ich mich wie in einer Gefängniszelle. Also ging ich in den Unterricht.
Die Kurse stellten eine ganz eigene Form von Hölle dar. Ich saß da und dachte: Er hat mich belogen. Oder, noch besser: Jemand hier will mich umbringen. Alle anderen Gedanken verjagte ich aus meinem Kopf, grübelte ein paarmal über den einen nach und bekam nicht mehr mit, was der Lehrer sagte. Dibs setzte sich beim Frühstück und Mittagessen zu mir, redete aber nicht viel. Er hatte schon seine liebe Not, stillzusitzen und sich ein Hallo herauszuquälen. Seine Schüchternheit nahm pathologische Züge an.
Sonst sprach niemand mit mir außer Graves. Und er redete ebenfalls kaum – jedenfalls nicht über irgendetwas Wichtiges. Die ganze Zeit ging es nur: Wir sind durch den Park gerannt. Oder: Shanks hat uns zum Einkaufen mitgenommen. Oder: Ich habe von dem Typen gehört, der beim Training, rate mal, was der gemacht hat?
Ich gab Laute von mir, nickte und bemühte mich, interessiert zu gucken. Bis der Gong in meinem Schädel losdröhnte.
Er hat mich belogen. Oder: Jemand hier will mich umbringen. Vielleicht in diesem Raum. Und ich glotzte in die Ferne, weil ich Angst hatte, jeden anzusehen und nach Anzeichen für Mordgelüste zu suchen. Ich konnte noch nicht einmal sagen, wie alt irgendjemand hier war. Sie hätten uralt sein können, und ich ahnte es nicht.
Ich wusste eigentlich nicht, warum ich mich so betrogen fühlte. Christophe war schließlich teils ein Vampir. So wie jeder andere hier, der mich lieber tot sähe.
Wie ich.
Dieser Makel wusch sich nicht aus. So viel fand ich immerhin während der zusehends nützlichen Doppelstunde Geschichte heraus. Egal, wie weit der Blutsauger im Familienstammbaum zurücklag, er machte die Kinder ausnahmslos zu Djamphiren. Sie erbten die Gabe, die Schnelligkeit, die Stärke – und den Bluthunger. Und sie alle waren Jungen, mit Ausnahme des einen Mädchens von tausend. Noch dazu erreichten die Mädchen selten das Erwachsenenalter, weil die Blutsauger sie aufspürten, bevor sie ihre Blüte erreichten, und leer saugten, denn das verpasste ihnen einen Superschub an Kraft.
Nett, nicht?
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