Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)

genau hin, hätte man es für Lachen halten können.
    »Sie widersetzen sich «, korrigierte Blondie so hochnäsig, wie er irgend konnte. »Dennoch ist es machbar. Die bevorzugte Methode ist das Anketten in einer Tatra. Hierbei handelt es sich um einen Steinquader, der gerade groß genug ist, dass das Opfer aufrecht stehen, sich aber weder umdrehen noch beugen oder setzen kann. Die Kette wird an einem Dornenhalsband befestigt, dessen Dornen nach innen weisen, so.« Er machte es mit seinen manikürten Händen vor. »Das Opfer muss sich folglich selbst auf dem beengten Raum sehr vorsichtig bewegen. Dann wird rohes Fleisch auf den Boden geworfen oder gerade außerhalb des Steinquaders plaziert. Der Geruch quält das Opfer, bis das Fleisch zu verrotten beginnt, und jeden Tag wird Wasser in eine Öffnung über dem Kopf geschüttet. Es fließt über den Werwolf hinweg, und die Gefahr, dass er es inhaliert und eine Lungenentzündung bekommt, ist sehr groß. Dann sind da noch die Revelle, die Traumräuber, Kreaturen, die von den Maharadscha gezüchtet werden.«
    Jetzt horchte ich erst recht auf, und Graves neben mir spannte sich spürbar an.
    »Der Traumräuber wird in unmittelbare Nähe der Wölfe gebracht, mit Aas gefüttert und darf singen. Weiß jemand, was das Lied eines Traumräubers anrichten kann?«
    »Ich weiß, was passiert, wenn sie jemandem ihre Zunge in den Mund stecken und trinken«, murmelte Graves. »Das Ding hat gesungen, daran erinnere ich mich.«
    Ich erinnerte mich nicht. Ich hatte immer noch nicht entschieden, ob ich außerhalb meines Körpers gewesen war oder bloß einen sehr lebhaften Traum gehabt hatte, bei dem mein Unterbewusstsein Bilder zusammenpackte und mir Erinnerungen zeigte. Aber ich wusste noch, was geschehen war, nachdem Graves den Traumräuber von mir gerissen hatte und Christophe mich festhielt, während ich würgte und zappelte.
    Christophe. Er hat gelogen. Er hat es mir nicht gesagt. Mistkerl! Und noch jemand. Vielleicht die Anna-Kuh. Aber sie ist auch eine Svetocha. Das ergibt gar keinen Sinn. Die Vampire sind doch die Feinde, oder nicht? Wieso sollte jemand mit ihnen zusammenarbeiten?
    Sein Sohn. Sergejs Sohn.
    Blondie machte eine Pause, sichtlich überlegend, ob er vielleicht gar nicht antwortete. »Das Lied des Traumräubers nimmt seinem Opfer jede Hoffnung und treibt es an den Rand des Wahnsinns. Dem ausgesetzt, dauert es wenige Stunden, bis die Grenze zwischen dem Bewusstsein eines Werwolfs und dem Anderen durchbrochen wird – jenem Teil in ihnen, der die Wandlung lenkt. Dadurch wird der Wolf psychotisch, und er oder sie ist außerstande, seine oder ihre menschliche Gestalt wieder anzunehmen.«
    »Das machen sie auch mit Mädchen? « Jemand hinter mir klang entrüstet. Anscheinend war die Ritterlichkeit noch nicht vollständig ausgestorben.
    Aber ich dachte an das Irre, Wahnsinnige in Ashs Augen. Er war einst ein Werwolf wie die Jungen hier in dem Klassenzimmer gewesen, die allesamt unbehaglich auf ihren Sitzen hin- und herrutschten. Und Sergej hatte ihm das angetan – ihn in einen Steinwürfel gesperrt und zu etwas gemacht, das sich nicht in einen Jungen zurückwandeln konnte.
    Blondie sah jetzt richtig gequält aus. In den letzten paar Tagen war er mir immer sympathischer geworden, bis ich mich erinnerte, dass er durch die Tür verschwunden war und mich zurückgelassen hatte, als ich angegriffen werden sollte. Trotzdem war er im Moment der Lehrer, von dem ich am meisten lernen konnte. »Manchmal«, antwortete er ruhig, »ist ein psychotischer weiblicher Werwolf so gut wie nicht zu bremsen. Allerdings ist es auch schwieriger, den Widerstand einer Wölfin zu brechen und sie zu einer Gebrochenen zu machen. Es wurden schon andere Methoden angewandt, um Werwölfinnen zu zwingen, folgsam zu sein. Wie dem auch sei: Sobald ein Wolf nicht einmal mehr den Anschein von Menschlichkeit annehmen kann, wird er von seinem Meister unterworfen und zu einem Roboter ohne eigenen Willen. Er besteht nur noch aus Appetit und Gehorsam.«
    Augenblick mal! Ich setzte mich gerade auf, so dass der Block auf meinem Schoß zur Seite glitt. »Kann man das aufhalten? Ich meine, kann man so jemanden wieder menschlich machen?«
    »Einen Gebrochenen zurückholen? Möglich ist es, wenn man eine Kette hat, die stark genug ist, hinreichend Zeit und einen zwingenden Grund, es zu versuchen. Aber der Meister einer solchen Kreatur würde sie nicht gehen lassen beziehungsweise sie mit solcher Intensität zurückrufen,