Strange Angels: Verraten: Roman (PAN) (German Edition)
nicht aufwachen und ihn in der Küche finden würde, wo er Kugeln in Magazine lud, oder auf seinem Campingsessel vor dem Fernseher oder …
Vorbei waren die Fahrten mit heruntergekurbeltem Fenster und der Karte auf dem Schoß, damit ich Dad sagen konnte, wie er fahren musste. Nie wieder würde ich ihm Munition durch ein zerbrochenes Fenster reichen, während drinnen irgendetwas herumkroch oder auf ihn zusprang. Keine Ratespiele mehr, kein Überlegen, mit welchem Teil der Echtwelt wir es diesmal aufnahmen.
Kein Lauschen mehr auf sein Atmen mitten in der Nacht im Haus. Nie wieder würde ich ihn in seinem Stuhl vor dem Fernseher sehen, nie wieder sonntags seine Spezialpfannkuchen bekommen oder sein Rufen hören, wenn er zur Haustür hereinkam. Dru? Dru, Kleines, bist du da?
Keine Chili-Abende oder warmen Arme um meine Schultern mehr, kein Trost mehr, wenn ich nachts schreiend aufwachte – was selten vorgekommen war, seit ich über vierzehn war, aber dennoch hatte es gutgetan zu wissen, dass er mich getröstet hätte, falls es wieder passierte.
Er war wirklich, richtig fort. Ich war ganz allein hier, und was ich für einen sicheren Ort gehalten hatte, entpuppte sich als Schlangengrube. Ähnlich dem kleinen Laden, den wir aufgesucht hatten, ehe wir zu den Dakotas aufbrachen. Dem mit den Mokassinschlangen in den Terrarien, die stanken und scheußliche Knarrgeräusche von sich gaben.
Mokassinschlangen waren fies. Sie attackierten einen ohne Vorwarnung. Die ganze Zeit über, die ich dort verbracht und Dad mit der Besitzerin im Hinterzimmer geredet hatte, schlugen sie mit ihren stumpfen Mäulern gegen die Glasscheiben.
Hatte er dort Christophes Nummer bekommen? Was sonst hatte er in dem Laden gewollt?
Ich rieb mir die nassen Wangen. Wie ich diese dauernde Heulerei hasste! Davon wurde man blöd im Kopf, und das Gesicht tat einem weh. Ich faltete die Mitschrift zusammen, wobei ich feuchte Tränenabdrücke auf den Papierrändern hinterließ.
Die Malaika lagen noch unter meinem Bett, gleich neben Dads Brieftasche und einem dunklen Klumpen, den ich ergriff und herauszog. Das war meine schwarze Leinentasche, noch schmutzig von dem Schneematsch in Dakota. Ich hatte sie sorgfältig gepackt, als Graves und ich das Haus ausräumten und Christophe am Telefon mit jemandem stritt, der kommen und mich abholen sollte.
Das erschien mir ewig lange her. Da hatte ich noch geglaubt, dass sich alles regeln ließe, vielleicht, wenn ich mich nur hinreichend anstrengte.
Bargeld war in meiner Brieftasche und in dem kleinen Fach unter der Lasche am Taschenboden, dem Geheimfach. Dad hatte mir gezeigt, wie ich es einnähen und benutzen sollte. Ein Pass – ebenfalls in der Brieftasche und unter der Lasche. Ein Munitionsclip in dem Geheimfach, Labello, mein Yoda-Notizbuch, ein Kamm, zwei Stifte, ein Taschentuch, eine frische Garnitur Unterwäsche und ein kleiner Riegel Hotelseife.
Man konnte ja nie wissen.
Nicht zu vergessen: das schwarze Buch mit Dads Kontakten, weil ich es für gut hielt, es bei mir zu behalten. Doch wenn August verschwunden war, wen konnte ich sonst anrufen? Ich besaß nicht einmal ein Telefon. Auch in Dylans Büro hatte ich keines gesehen. Shanks hatte etwas von Telefonierzeit gesagt, aber ich hatte keinen Schimmer, wo ich nach einer Verbindung zur Außenwelt suchen sollte.
Ich war so isoliert wie eine Gefangene.
Kompass und Straßenkarten von Florida, North Dakota und South Dakota. Die Karten halfen mir nicht, aber der Kompass konnte nützlich sein. Minitaschenlampe. Ich knipste sie an und aus und sah nach Ersatzbatterien. Sie funktionierte noch. Diese Sachen zu haben, war gut.
Außerdem fand ich eine Reisepackung Ibuprofen, eine kleine Flasche Weihwasser und eine mit Salz. Ich steckte das Klappmesser in eine der kleinen Taschen, die an der Rückseite eingenäht waren. Es klimperte gegen zwei große Silberdollar und vier oder fünf Eisennägel. Eigentlich waren sie aus Stahl, aber der Eisengehalt machte sie zu einer guten Verteidigungswaffe gegen alles Mögliche: Wiedergänger, einige Erscheinungen, Feen und so weiter.
Bei dem Gedanken an Feen schüttelte es mich. Die Leute dachten, die Dinger wären total süß, mit ihren durchsichtigen Flügelchen, dabei sollten sie lieber beten, dass sie nie einer Sidhe mit schlechter Laune über den Weg liefen, die ihnen Jahre ihres Lebens rauben konnte. Und ebenfalls, dass sie nie mitten in der Nacht Silberhörner hörten, deren Echo durch die Hügel hallte, während
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