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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Musik, sagte ich. Dreh dich um und sieh es dir an.
    Großzügig bot ich ihm die schönste Sammlung Pobacken der Welt. Vor unseren Augen ausgebreitet lag ein ganzer Regenbogen von Mädchen, alle in Reih und Glied in derselben Richtung, die leichte Abschüssigkeit des Strandes nutzend, mit dem Kopf zum Hang, zumeist auf dem Bauch, aber manchmal auch auf dem Rücken, mit nackten Brüsten oder BH , einige in Strings, andere in keuschen Badeanzügen – blasse Mädchen, weiß wie Milch, wenn sich der Rahm von ihr getrennt hat; rosige, die Hüte trugen, um ihre Gesichter zu schützen; zart gebräunte, braune, schwarze, eine Palette von Pobacken, von sich vorwölbenden Schamhügeln in Badeanzügen, Brüste in allen Formen und allen Farben; ich legte mich in den Sand, stützte das Kinn auf die Hand: Einen Meter von mir entfernt sah ich leicht gespreizte Schenkel auf einem bunten Handtuch, eine nordische Schönheit, deren draller Po sich an den Rändern ihres Höschens zu röten begann – eine kleine Falte im Schritt deutete ihre Scham an, die sich in sanftem Schwung unter dem Stoff wölbte, am Rand schauten ein paar winzige blonde Schamhaare hervor und hoben sich gegen die Haut ab; ihre Füße waren entzückend, die Zehen in den Stand gestemmt; es war, als hätte ich den Kopf zwischen ihren Beinen, und ich fragte mich, ob mein Blick eine Wirkung auf diese greifbar nahe Möse hatte; ob es mir gelänge, sie heiß zu machen, wenn ich sie lange genug fixierte, wie die Sonne das Stroh entflammt – mit der Sonnenbrille anstatt mit der Lupe, wer weiß. Die nordische Schönheit kratzte sich am Steißbein, als hätte ich sie gestört, und in einem dummen Reflex wandte ich brüsk den Blick ab – sofern Odin seinen Geschöpfen keine völlig neuen Fähigkeiten verliehen hatte, war das eine Auge, das mich hinter dem granatfarbenen Polyester beobachtete, blind.
    Ungern ließ ich mich aus meiner Betrachtung herausreißen: Bassam, noch immer im Schneidersitz, die Hände auf die Knie gelegt, lächelte glückselig; er ließ seinen Blick über den Strand gleiten wie ein Leuchtturm, von einer Seite zur anderen; auf der Mole fuhren Skater und Radfahrer vorbei; fliegende Händler schritten an der Wasserlinie den Strand ab, boten Bier oder Soda an, Henna-Tattoos, Schmuck aus kleinen Perlen, Sonnenbrillen, Aufkleber von Barça, Schirmmützen, Schals, Handtücher, afrikanischen Kitsch, Krapfen, Fußsohlenreflexmassagen oder alles zusammen, und es war unmöglich, auch nur fünf Minuten am Meer zu sitzen, ohne dass irgendjemand versuchte, diese Mattigkeit auszunutzen und einem etwas zu verkaufen – diese Hundertschaften von Sonnenanbetern bildeten ein unendliches Reservoir an potenziellen und von der Hitze benommenen Kunden. Bassam sah sich das alles an, alle diese Hintern, diese Brüste, diese Senegalesen, die sich ihre Waren auf den Buckel luden, all die Neohippies, die auf der Mole vorbeikamen; zur Linken beschützte ein strahlend helles Mastodon, das Hotel Vela, diese Leute mit seinem Segel aus Glas und Stahl; zur Rechten, am anderen Ende der Uferpromenade, beim Port Olimpic, zwischen der Torre Mapfre und dem Arts Hotel, schien ein Wal aus schmelzendem Metall auf den Strand zu fließen; in der Ferne, hinter der im Dunst liegenden Betonplatte des Forums der Kulturen, verschwanden die Schornsteine des Wärmekraftwerks von Badalona in einem Halo aus Feinstaub.
    Ich dachte plötzlich an Judit, an diesen Tumor, an diese Ungerechtigkeit des Körpers. Diese Ohnmacht war ebenso bitter wie das Gift von Cruz.
    Wir blieben lange am Strand, versunken in die Schönheit der Stadt und des endlosen Meeres, über das die Herde der Segelschiffe mit ihren weißen Segeln zog, bis die Sonne hinter dem Montjuïc unterging und die Bräunenden sich eine nach der anderen ankleideten: Einige streiften nur ihr Kleid über ihren Badeanzug; andere, die eleganter, älter oder spießiger waren, vollzogen, eingehüllt in ihr Badetuch, eine langsame Metamorphose; man konnte ihre Unterwäsche bewundern, von der hilfreichen Hand eines Ehemanns oder einer Freundin gereicht, den Augenblick erhaschen, wenn sie versuchten, auf einem Bein stehend, die Balance zu halten, während sie in ihren Slip schlüpften, merkwürdige ungeschickte Vögel, die einen Pareo vor der Brust festhielten. Eine kleine Brise war aufgekommen, ich sagte zu Bassam, dass es nun Zeit wäre, in die Straße der Diebe zurückzugehen, diesmal zu Fuß. Er schüttelte sich, um den Sand loszuwerden, und marschierte

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