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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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toten Dickhäuters waren im Internet um die Welt gegangen – das erinnerte mich an Casanovas Memoiren, Bilder wie aus einer anderen Zeit. Als ob Monarchien die Gewalttätigkeit und Grausamkeit nicht abschütteln könnten; das Schicksal drängte sie dazu: In seiner Jugend hatte Juan Carlos seinen Bruder zufällig durch eine Kugel getötet; sein Enkel hatte gerade das Pech gehabt, sich eine Patrone in den Fuß zu jagen; ein ganzes Regiment erlegter Elefanten bezeugte die königliche Leidenschaft für Feuerwaffen. Demgegenüber hatte der König von Marokko wenigstens das Verdienst, diskret zu sein.
    Ich fragte mich, welche Angelegenheit der Grund dafür war, dass Nouredine zu einem Galadiner, das direkt dem 18. Jahrhundert entsprungen schien, vom Persischen Golf nach Barcelona gereist war, aber ich wagte nicht, danach zu fragen.
    Er hatte mir Bassam zurückgebracht, das war genug.
    Wir beschlossen, eine Runde zu drehen und dann in die Carrer Robadors zu gehen. Bassam schien aus seiner Erstarrung zu erwachen und sperrte die Augen weit auf, als er die Stadt entdeckte, von der mein alter Kumpel seit Langem träumte. Mit einem ah, Junge, Junge, betrachtete er die Luxusgeschäfte, die Prachtstraßen, die Gebäude; er drehte sich nach den Fahrrad fahrenden Mädchen um, deren Röcke hochrutschten, wenn sie in die Pedale traten, nach den Schaufensterpuppen, nach den geschminkten Passantinnen, er blickte an den Gebäuden des Modernismus hinauf, schüttelte mit ungläubiger Miene den Kopf angesichts all des Luxus und dieser Freiheit, es machte Spaß, ihm zuzusehen, ich vergaß darüber fast Judits Krankheit. Wie früher sprang Bassams kindliche Begeisterung auf mich über, unentwegt rief er irre, verrückt, Donnerwetter, schau dir die an, was für ein Weib, mein Gott, was für ein schönes Weib, das ist der blanke Wahnsinn, und ich antwortete ihm wieder und wieder, warte ab, Alter, warte ab, es kommt noch besser. Gemächlich gingen wir unter den Bäumen die Rambla Catalunya hinauf; ich spendierte ihm einen Kaffee auf einer Terrasse, damit er die Mädchen und die milde Frühlingssonne nach Herzenslust genießen konnte, ich hatte den Eindruck, in unsere gesegnete Jugend zurückversetzt zu sein, inmitten von Bassams Traum, wenn wir die Meerenge betrachteten – er bestaunte die Glanzlichter von Barcelona, die Mädchen von Barcelona, die Bars von Barcelona: Dank ihm hatte ich endlich das Gefühl, hier zu sein, an einem bestimmten Ort zu sein, am Ziel angekommen zu sein. Unaufhörlich amüsierte er sich ganz allein aufs Köstlichste, wie ein Kind, und es war die reinste Freude, seinen dicken, bärtigen Holzkopf wieder so fröhlich in die Welt schauen zu sehen.
    »Jetzt sag doch mal, wo warst du die ganze Zeit? Was hatte es mit diesen nichtssagenden Mails auf sich, die du mir geschickt hast?«
    »Was? Holla, schau dir mal diese Titten an. Nichts, ich war im Osten, mit Nouredine.«
    »Aber warum bist du einfach so mir nichts, dir nichts verschwunden? Was hast du in Marrakesch gemacht?«
    »In Marrakesch? Du meinst in Casa? Wenn ich diese Beine sehe, eine Offenbarung!«
    »Nein, in Marrakesch, du müsstest dich doch daran erinnern, am Tag des Attentats. Judit hat dich dort gesehen.«
    »Das Attentat von Marrakesch, klar erinnere ich mich. Ich weiß nicht mehr, ich glaube wir waren unterwegs nach Süden.«
    Es war unmöglich, ihn von seiner Stadtbetrachtung abzubringen. Egal, wir würden später darüber sprechen.
    Wir machten uns auf den Rückweg Richtung Unterstadt, und ein Stück weiter blieb Bassam staunend vor dem Schaufenster einer Kunstgalerie stehen, in dem eine riesige Fotografie von zwei auf drei Metern ausgestellt war: eine seltsame Szene, acht Personen hinter einem Tisch voll von leeren Bierdosen, altmodischen Gläsern, Weinflaschen, Speiseresten, schmutzigen Schalen und Löffeln, zerknüllten Verpackungen, Spirituosen, Fruchtsäften im Tetra Pak, Aschenbechern, die von Kippen überquollen, und abgebrannten Streichhölzern. Zwei Mädchen im BH standen da mit einem Joint in der Hand; auf einem Stuhl im Hintergrund, an den Schultern abgeschnitten, drei Typen mit nacktem Oberkörper, einer davon sehr behaart; rechts ein nachdenklicher Bärtiger mit einer Kippe, den Kopf den anderen zugewandt und in die Betrachtung der Verwüstung versunken, ihm gegenüber, an der äußersten linken Seite, ein splitternackter, in die Kamera lächelnder Mann mit einem Hut auf dem Kopf, während an seiner Seite ein elegant gekleidetes Paar – er

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