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Straße der Diebe

Straße der Diebe

Titel: Straße der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Enard
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Abschaums, der unsere Abwesenheit genutzt hat, um das Buch selbst dafür verantwortlich zu machen, welch eine Schande. Er hat das ohne Umschweife geäußert mit einer Stimme, in der Wut mitschwang – mir fiel plötzlich der Buchhändler ein, seine sprachlose Überraschung, als er mich sein Geschäft betreten sah; vielleicht hatte er sich gerächt. Möglich war es. Das Leben ist nur eine Folge von falschen Antworten und Missverständnissen.
    Bassam blieb weiterhin still; er wiegte ab und zu den Kopf, musterte die Passanten, betrachtete die Beine der Mädchen, aber seine Augen blieben immer gleich leer.
    Ich hatte eine Unmenge von Fragen an Bassam und Nouredine – ich überwand mich und rückte mit der ersten heraus, was war geschehen, warum waren sie plötzlich verschwunden? Der Cheikh machte ein überraschtes Gesicht, aber du warst es doch, der nicht mehr da war, Sohn. Als wir von dieser Versammlung in Casablanca zurückkamen, fand ich unsere Räume abgebrannt – du hast keine Adresse zurückgelassen. Einen Augenblick lang hatten wir dich sogar im Verdacht. Dann erfuhr ich von Bassam (er rührte sich ein wenig, als er seinen Namen hörte, als würde er aufwachen), dass du eine Beziehung zu einer jungen Spanierin hattest und dass du verschwunden warst, ohne Spuren zu hinterlassen. Er klang vorwurfsvoll, bevor er hinzufügte, aber das ist eine alte Geschichte, wir haben dir verziehen.
    Ich war so sprachlos, dass ich in meinem Gedächtnis nach einer Versammlung in Casablanca forschte, vergeblich. Sofort entschuldigte ich mich für dieses Missverständnis; ich sagte, ich hätte nach dem Attentat in Marrakesch und dem Brand Angst bekommen.
    Cheikh Nouredine fegte das alles mit einer Handbewegung vom Tisch.
    Ich begriff, dass ich nichts mehr erfahren würde.
    Ich fragte Bassam, wo er die ganze Zeit über gesteckt habe; er sah mich mit den leeren, blinden Augen eines Hundes an. An seiner Stelle antwortete Nouredine: Er war mit mir unterwegs, um seine Ausbildung abzuschließen.
    Bassam nickte.
    Dann lud uns Cheikh Nouredine zum Mittagessen in ein libanesisches Restaurant an der Plaça Universitat ein. Bassam lief uns hinterher. Wie ein Gespenst, dachte ich – vielleicht war er noch erschöpft vom Jetlag.
    Als das Essen vor ihm stand, rappelte er sich wieder auf: Zumindest seinen Appetit hatte er nicht verloren, das war beruhigend. Er verschlang einen Teller Hummus, einen Salat und drei Spieße, als ob sein Leben davon abhinge; zwischen zwei Bissen lag ein Anflug von Lächeln auf seinem Gesicht.
    Während des Essens unterhielten wir uns wie üblich, wie zu Zeiten der »Verbreitung des koranischen Gedankenguts«, vor allem über Politik; der Sieg des Islam bei den Wahlen in Tunesien und Ägypten war eine großartige Nachricht; in Syrien, Inschallah, würde das Regime nach einem blutigen Krieg auf mittlere Sicht gestürzt werden. Seltsamerweise sprach er nicht von Marokko, als ob diese Gegend ihn nicht mehr interessieren würde. Ich fragte ihn, was ihn nach Europa führte – nichts Besonderes, erwiderte er. Eine Versammlung von karitativen Vereinigungen, von Spendern. Ein Galadiner. In einem Palast. Mit Fußballern von Barça. Auf Initiative der spanischen Königin.
    Ich war platt, Nouredine bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in einem Luxushotel mit gekrönten Häuptern.
    Die Stiftung, für die ich jetzt arbeite, entfaltet vielerlei Aktivitäten, fügte er lächelnd hinzu.
    Ich fragte Bassam, wie lange er zu bleiben gedachte; er schüttelte sich, als ob ihn meine Frage überrascht hätte, bevor er »ich weiß nicht, ein paar Tage auf jeden Fall«, antwortete.
    Das war eine gute Nachricht.

Ich überzeugte Bassam, auf sein Hotel zu verzichten und bei mir in der Straße der Diebe zu wohnen – was er an Komfort verlöre, gewänne er an Freundschaft. Cheikh Nouredine bestärkte ihn darin, am besten entdeckt man eine Stadt mit ihren Bewohnern, sagte er lachend. Ich hatte Mühe, mir vorzustellen, dass er noch am selben Abend in eleganten Salons inmitten eines Schwarms Adeliger und Reicher sein würde, ein Glas Orangensaft in der Hand, um allen diesen Bourbonen die Hände zu schütteln – ausgerechnet er, die Knute der Ungläubigen, der Mann, der uns aufheizte und zur Revolte antrieb, würde vielleicht an einem Tisch mit Juan Carlos speisen, über den gerade in allen Zeitungen berichtet wurde: Der König war kürzlich bei einer Elefantenjagd in Afrika in Erscheinung getreten, und Fotos des Monarchen in Gesellschaft eines

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