Straße der Diebe
sich zufallen ließ.
Cheikh Nouredine blieb wie geplant nur drei Tage; er hatte die bessere Gesellschaft von Barcelona getroffen, samt Fürsten und Fußballspielern, hatte sich in einem Luxushotel mit Petits Fours vollgestopft, bevor er zurückflog, nicht ohne uns, Bassam und mich, ein letztes Mal zum Abendessen einzuladen – ich hatte das Gefühl, bei einem Essen mit einem Onkel aus Amerika zu sein; er war sehr elegant, in einem dunkelblauen Jackett und einem weißen Hemd mit Stehkragen; er besaß Geld, die Gabe der Rede und ein Ticket für den Rückflug an den Golf in der Businessclass. Ich fühlte mich ein wenig wie der Prolet vom Dienst; ich konnte es mir nicht verkneifen, Marokkanisch mit ihm zu sprechen, während er von seinem Wohltätigkeitsempfang in klassischem Arabisch mit orientalischem Einschlag erzählte. Bassam schwieg; sein Blick voller Bewunderung und grenzenloser Dienstbarkeit. Ich weiß nicht, warum, aber an dem Tag habe ich Cheikh Nouredine gehasst; vielleicht weil ich am Morgen noch Judit im Krankenhaus besucht hatte und ein wenig angegriffen davon war, wer weiß. Auf jeden Fall war ich froh, als der Moment gekommen war und ich ihm Auf Wiedersehen sagen konnte. Ich erinnere mich gut an seine letzten Worte, bevor er ein Taxi nahm, um sein Gepäck im Hotel abzuholen: Zögere nicht, sagte er, wenn du zu uns stoßen willst, zögere nicht, wir haben immer Arbeit für dich. Ich bedankte mich, ohne zu wagen, von meinem Traum zu sprechen, dieser kleinen zugleich religiösen und friedlichen Buchhandlung im Raval in Barcelona. Dann dachte ich daran, dass dieser Hund mein Leben bestimmt und vermasselt hatte, dass er einen gültigen Pass voller Visa besaß, dass er weder Cruz noch die Straße der Diebe je kennengelernt hatte und dass er einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten verdiente, um ihn das Leben zu lehren – Bassam warf sich ihm an den Hals, als ob es sich um seinen Vater handelte; ich glaubte zu verstehen, was der Cheikh ihm ins Ohr flüsterte, sei stark, es kann sein, dass die Stunde nahe ist
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es erinnerte mich an einen Vers aus dem Koran, der als Abschiedsgruß sehr merkwürdig und feierlich war. Nouredine merkte, dass ich mitgehört hatte, er lächelte, und mit den Worten: Seid brav, vergesst Gott und eure Brüder nicht, verschwand er in einem gelben Taxi in der Nacht.
Bassam sah ihm hinterher, als ob der Prophet höchstpersönlich davongegangen wäre.
Es war Zeit, ihn wie früher an der Hand zu nehmen; so, jetzt genehmigen wir uns ein paar Bierchen vor einem Café und schauen nach den Bräuten, ich gebe einen aus, sagte ich zu ihm.
Er sah unendlich traurig aus, trat von einem Fuß auf den anderen, als müsste er plötzlich pinkeln, und fasste meine Hand wie ein hilfloses kleines Mädchen.
»Komm, wir machen einen drauf«, sagte ich.
Er ließ sich mitziehen wie ein Welpe oder ein Kind, genau das war er tatsächlich immer geblieben.
Die Leute fragen dich nach der Stunde des Gerichts. Sag: Über sie weiß nur Gott Bescheid. Wer weiß, vielleicht steht sie nahe bevor? Gott hat die Ungläubigen verflucht, und er hat einen Höllenbrand für sie bereitet, damit sie ewig darin weilen, ohne einen Freund oder Helfer zu finden .
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gleich am nächsten Tag suchte ich nach dieser Koranstelle, nachdem ich Bassam einen Abend lang dabei zugesehen hatte, wie er stumm vor einer Coca-Cola vor sich hin sumpfte, als wir auf den überfüllten Terrassen rund um das Museum für zeitgenössische Kunst saßen, im ungeheuren Lärm der Skater, einer Kaskade von Boards, die über das Pflaster bretterten, einem endlosen Klappern ohne jeden Rhythmus – Bassam beobachtete sie staunend, und es stimmt, dass dieses Treiben einen Neuankömmling völlig verwirren musste; sie beanspruchten nur wenige Meter auf dem Platz, versuchten eine Figur, einen Sprung oder einen Satz, was hoffnungslos erschien und stets das gleiche Resultat zeitigte: Das Board kippte zur Seite, fiel auf den Boden, und sein Besitzer landete auf den Füßen, ging sein Gerät einsammeln und begann wieder von vorne, wie Hassan der Narr, der sich dauernd im Kreis drehte; das Poltern von Dutzenden der aufprallenden Skateboards erhob sich mit unbarmherziger Regelmäßigkeit über dem Museumsvorplatz; auf dem Rand eines Marmorbrunnens sitzend, schauten die Zaungäste dem fortwährenden Schauspiel dieser Klangentfaltung zu, Touristen, die sich ausruhten und die Beine baumeln ließen, ausgestattet mit Fotoapparaten und Rucksäcken, Jugendliche, die
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