Strasse der Sterne
auf.
»Warum tust du das?«, fragte ich. »Und wieso hast du Diego nicht längst alles verraten? Er würde dich sicher dafür belohnen.«
»Wirst du jetzt wirklich meine Mutter?«, sagte sie. »Meine richtige Mutter?«
Ich zog die Achseln hoch. Sie schien nicht zu wissen, was die Reinen von dem Sakrament der Ehe hielten. Aber es war nicht meine Aufgabe, ihr davon zu erzählen.
»Bitte! Ich möchte so gern eine richtige Mutter haben. Ich würde auch immer alles tun, was du willst, ich schwöre es!«
»Du sehnst dich nach einer Mutter?«
Ich spürte, wie ich weich wurde. Sie hatte mir gebracht, wonach ich mich gesehnt hatte. Zum ersten Mal fühlte ich mich Angelita nah.
Sie senkte den Kopf. »Aber du musst mir eines versprechen!«, flüsterte sie.
»Was denn, meine Kleine?«
Ihre tiefblauen Augen waren sanft, als sie den Kopf hob, um den Mund jedoch entdeckte ich einen unangenehmen Zug. Erneut erwachte Argwohn in mir, allerdings zu spät.
»Dass du mich lieber hast als das da.«
Ihr Schlag in meinen Bauch kam ebenso hef t ig wie unerwartet.
»Was tust du?« Ich stieß sie weg. »Es ist mein Kind. Es lebt und spürt alles. Du wirst meine Liebe nicht gewinnen, wenn du es verletzt.«
Ich schlang die Arme um meinen Leib. Dir wird nichts passieren. Niemand darf dir wehtun. Das lasse ich nicht zu. Niemals.
Angelita hatte sich erhoben. Ihre Unterlippe zitterte.
»Wie dumm von mir, dich zu fragen! Ich hätte es wissen müssen! Du wirst niemals meine richtige Mutter sein«, sagte sie. »Denn du wirst das andere Kind immer mehr lieben.« Ihre Stimme erklomm hysterische Höhen. »Ich hasse dich, Blanca. Hörst du? Ich hasse dich!«
DRITTES BUCH
DIE HEIMKEHR
Estella, Juni 1246
Nach einem düsteren Tag voll Regenwolken und heftigen Schauern erreichten sie gegen Abend die Stadt Estella. Jeder der sechsköpfigen Pilgergruppe schien erleichtert, als neben der Klosteranlage endlich das Hospiz in Sicht kam. Schlafplätze erhielten sie, auf Verpflegung jedoch hatten sie umsonst gehofft. Die Mönche unterzogen sich strengen Exerzitien, die noch bis zum Rest der Woche andauerten.
»Dominikaner!«, sagte Camino mit leisem Spott. »Mittlerweile derart vergeistigt, dass sie müden Pilgern nicht einmal mehr etwas Suppe und Brot geben wollen!«
»Ich bin nicht besonders hungrig«, sagte Moira rasch. Natürlich hätte sie losgehen können, um sich abseits des Weges Arbeit zu suchen. Doch sie wollte die anderen nicht verlassen. Vor allem Camino nicht. Aber auch nicht Pilar, die allmählich etwas Vertrauen zu ihr gewonnen hatte.
»Aber ich«, rief Pilar. »Dieser Regen und der ständige Wind! Ich komme um, wenn ich nicht endlich etwas Warmes in den Bauch kriege!«
»Ich seh mich rasch um«, schlug Camino vor. »Und wenn ich etwas gefunden habe, hole ich euch.«
»Ich werde mich lieber gleich schlafen legen«, sagte Armando. »Ich bin sehr müde.«
Nach wie vor litt er unter Kopfschmerzen und einem seltsamen Geschmack im Mund. Im Weggehen umklammerte er seine Tasche, als befürchte er, sie könne erneut geraubt werden. Seit dem Überfall ließ er sie noch weniger aus den Augen als zuvor. Drei Tage hatte er im Hospiz von Puente la Reina verbracht, die meiste Zeit schlafend oder dösend. Danach fühlte er sich kräftig genug, um aufzustehen. Caminos Angebot, mit ihnen weiterzureisen, hatte er nur zu gerne angenommen. Nach den jüngsten Erfahrungen fühlte er sich in einer Gruppe von mehreren Pilgern sicherer. Außerdem machte es ihn unruhig, wenn er zu lange mit Estrella allein war.
Estrella hatte sich ihnen angeschlossen, ohne zu fragen. Als sei es selbstverständlich, dass ihre Gegenwart bei allen auf Zustimmung stieß. Dabei kümmerte sie sich vor allem um ihre eigenen Belange, kam und ging, wie es ihr gefiel, und verschwendete keinen Gedanken daran, ob es die anderen störte.
»Wartet nicht auf mich! Ich habe anderes zu tun«, rief sie auch jetzt und verschwand im selben Moment in einer der belebten Gassen.
Es machte ihr Spaß, endlich wieder in der Sprache ihres Vaters zu reden, wie sie es zu Hause im Judenviertel von León stets getan hatte. Es ging mehr als leidlich, obwohl sie manches vergessen hatte und sich bisweilen des Gefühls nicht erwehren konnte, die anderen würden sie nicht immer ganz verstehen. Aber was spielte das für eine Rolle? Letztlich bekam sie stets, was sie wollte.
Summend ging sie weiter. Ihre Laune hätte besser nicht sein können. Es gefiel ihr, mit diesen Pilgern zu ziehen,
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