Strasse der Sterne
auf sich?«, fragte nun auch Pilar, die sich plötzlich an ein Gespräch zu Anfang ihrer Reise erinnerte. Tariq hatte sich seltsam ausweichend verhalten, als die Rede auf diese Stadt kam.
»Mal sehen.« Zu mehr war Tariq nicht zu bewegen.
Der Tumult aus dem Nebenraum schwoll weiter an.
»Jetzt reicht es aber!«, kreischte eine Frauenstimme. »Lasst mich endlich nach vorn. Ich hab lang genug Geduld gehabt!«
»Einer nach dem anderen! Und nicht so drängeln, sonst packe ich zusammen. Dann hat keiner mehr etwas davon.«
»Aber das ist ja Estrella«, sagte Moira erstaunt. »Was macht sie denn hier?«
»Das werden wir gleich wissen.«
Camino kam kaum durch, so eng drängten sich die Menschen um den kleinen Tisch, auf dem Estrella ihre Karten ausgebreitet hatte.
»Die Kaiserin.« In ihrer Stimme schwang Triumph. »Hast du mich nicht eben nach Kindern gefragt? Ja, du wirst Kinder haben. Die Frau auf dem Bild ist Mutter Natur, die Lebenskraft, die immer Neues gebiert.« Ihr Blick glitt prüfend an der Fragerin herunter. »Womöglich bist du schon schwanger?«
»Jetzt ich, ich!«
»Nein, du hast gefälligst zu warten, unverschämtes Weib!«
Zwei Frauen versuchten sich gegenseitig vom Tisch wegzudrängen, ihre Münzen schon in der ausgestreckten Hand. Bevor Estrella sie ihnen abnehmen konnte, entdeckte sie Camino, der sie geringschätzig musterte.
»Gehst du deshalb mit uns? Um Pilgern mit diesem Hokuspokus das Geld aus der Tasche zu ziehen?«, sagte er laut.
Mit einem Mal wurde es um sie herum still.
»Ich lasse nur die Karten sprechen. Es sind alte Bilder, die Geschichten erzählen. Willst du es nicht auch einmal versuchen? Für dich mache ich es sogar gratis!«
»Vergiss es!«
Estrella lächelte strahlend.
»Seht ihr, was los ist? Angst hat er.« Sie sprach geziert, als hielte sie eine Ansprache vor großem Publikum. »Große Angst. Dabei müsste er das gar nicht. Möglicherweise könnte er sogar etwas erfahren, was er schon lange wissen wollte.«
Moira zog Pilar hoch, führte sie nach nebenan und schob sie energisch durch die Menge.
»Das lassen wir uns nicht entgehen. Nicht ein Wort davon!«
»Also, was ist?« Estrellas Blick kreuzte sich mit Caminos. »Traust du dich nun, oder kneifst du?«
Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Camino begann zu schwitzen. Sie forderte ihn heraus, wollte sich öffentlich mit ihm messen. Mut hatte sie, das musste er zugeben. Und was, wenn sie trotz all seiner Skepsis Recht hätte? Sollte sie ihr Können unter Beweis stellen!
»Meinetwegen«, sagte er entschlossen. »Fang an!«
Geschickt ließ sie die Karten durch ihre Hände gleiten. »Du bestimmst, wann es genug ist.«
»Halt!«
»Drei kleine Häufchen!«, befahl sie. »Mit der Linken.«
Er tat, was sie verlangte.
»Und jetzt leg sie wieder zusammen!«
Wieder gehorchte er.
Im nächsten Augenblick waren alle Karten wie ein Fächer vor ihr ausgebreitet. »Drei Karten wieder mit links. Denk an das, was dich bewegt. Aber sag kein Wort.«
Sein Zeigefinger tippte nacheinander drei Karten an.
Sie deckte die erste auf.
»Der Gehängte. Die Strafe für Verräter.« Camino erblasste. »Du steckst fest, weißt keinen Ausweg mehr. Durch eigene Schuld hast du dich in eine schier aussichtslose Lage gebracht. Es gibt keine Lösung, egal, was du versuchst. Diese Karte steht für die Vergangenheit.«
Sie griff zur zweiten Karte.
»Der Turm. Nichts bleibt so, wie es ist. Jede Sicherheit, jeden Glauben, sogar das Liebste auf der Welt verlierst du. Große Kraft entfaltet sich. Aber sie kann sich auch gegen dich wenden und dich zerstören, bist du nicht mutig genug. Die Karte der Gegenwart.«
Die dritte Karte.
»Die Welt.« Ihre Stimme wurde weicher. »Das verlorene und doch stets ersehnte Paradies. Wer den Weg dorthin findet, ist vollendet. Aber der Weg ist dornig und das Ziel weit. Eine interessante Aussicht für deine Zukunft, nicht wahr?«
Hinter Caminos Stirn schien es heftig zu arbeiten, seine Miene spiegelte Verblüffung ebenso wie Betroffenheit.
Estrella genoss es.
»Sind deine Fragen damit vorerst beantwortet?«, sagte sie leise. Ihr Lächeln war voller Triumph.
*
In der Rioja, Juni 1246
»Ich friere, wenn ich sie nur ansehe«, sagte Moira. »Eine Spielerin ohne jeden Skrupel, das ist sie! Und verdorben. Hast du bemerkt, wie sie jeden Mann anlockt, nur um ihn zurückzustoßen ?«
Der kalte, stürmische Wind in der Rioja ließ sie langsam vorankommen. Nirgendwo etwas, was seine Kraft hätte brechen
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