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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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unterhielt sich mit Pilar und versuchte so munter wie möglich die angespannte Stimmung zu vertreiben. Schließlich schwieg auch sie.
    Der Mittag war warm; langsam senkte sich Schläfrigkeit über die Pilger. Estrella schien bereits zu träumen; ihr Brustkorb hob und senkte sich in gleichmäßigem Rhythmus. Armando fielen ebenfalls die Augen zu; allerdings hatte er sich einen Platz weit entfernt von ihr gesucht. Auch Pilars Gesicht hatte die Anspannung der letzten Tage verloren. Friedlich wie ein Kind schlief sie im Halbschatten.
    Moira erhob sich langsam. Sie wollte zu Camino, der schon vor einiger Zeit in die Kirche gegangen war.
    Im Säulenumgang verharrte sie kurz. Unwillkürlich begaben sich ihre Augen wieder auf die Suche nach den gefürchteten Steinmetzzeichen. Nirgendwo ein Blitz. Erleichterung breitete sich in ihr aus. Sie musste sich noch immer vergewissern, welches Gotteshaus sie auch betrat, aber die angstvolle Enge in ihr war inzwischen verschwunden. Die Sternenstraße wandelt uns, dachte sie, als sie die Kirche betrat. Jeden auf seine Weise.
    Sie sah Camino vor dem Altar knien, im Gebet versunken. Er passte in diese Kirche, als sei er ein Teil von ihr, nicht viel anders als die Marmorkapitelle oder die hölzerne Marienstatue im Nebenschiff, vor der die ewige Kerze brannte.
    Nach einer Weile erhob er sich, ging zu der Marienstatue und legte sich vor ihr mit ausgebreiteten Armen bäuchlings auf den Boden, das Gesicht gegen den Stein gepresst. Eine Geste vollkommener Ergebenheit, wie bei der Priesterweihe.
    Moira fühlte die Tränen über ihr Gesicht strömen.
    Die Mondnacht in den Bergen von Oca kam ihr in den Sinn, ihre Wünsche und innigen Beschwörungen, die sie am Grab des Heiligen ausgesprochen hatte. Vielleicht hast du bislang das Wichtigste übersehen, dachte sie. Du neidest ihn einer Toten. Aber du hast darüber ganz vergessen, dass es ein Mönch ist, den du liebst.
     
    *
     
    León, Juli 1246
     
    Zarte Morgennebel über dem Rio Bernesga. León öffnete gerade erst verschlafen die Augen. Hungrige Katzen in den engen Gassen, auf die ersten Abfälle der Marktfrauen lauernd; zwei junge Novizen in weißen Kutten, die Seite an Seite zur Morgenandacht eilten. Die große Kathedrale trug ein steifes Kleid aus hölzernen Gerüsten. Aber noch schwiegen die Werkzeuge. Zimmerleute und Steinmetze würden erst später mit ihrer Arbeit beginnen.
    Auch im Judenviertel zeigte sich noch kaum Leben.
    Trotzdem drückte Estrella sich an die Wände der schmalen Häuser, die immer höher in den Himmel zu wachsen schienen, weil der Rat der Stadt den Juden hartnäckig den Ankauf neuen Grunds verweigerte. Ihr Vater hatte oft darüber gesprochen. »Eines Tages werden sie uns ganz loswerden wollen. Wohin sollen wir dann gehen? Unser eigenes Land muss erst noch geboren werden!«
    Vor der niedrigen Mikwe, dem Kultbad, standen zwei Frauen, schlank und dunkel die eine, untersetzt und silberhaarig die zweite - die schöne Rachel, die Ari geheiratet hatte, und Lea, Aris Mutter!
    Estrella schlüpfte gerade noch in einen Torbogen, um unentdeckt zu bleiben. Aber ihr Herz schlug so hart gegen die Rippen, dass sie fürchtete, sie könnten es hören.
    »Mit dir kann man wunderbar spielen. Aber du taugst nicht zum Heiraten«, hatte Ari damals zu ihr gesagt, während seine leidenschaftlichen Küsse noch auf ihren Lippen brannten.
    Sie trafen sich heimlich am Fluss, und seine Umarmungen wurden von Mal zu Mal fordernder. In seinen Armen zu liegen, davon hatte sie geträumt, seit sie denken konnte, wenngleich sie sich gewünscht hätte, er würde mehr von sich preisgeben. Es gab immer noch eine Fremdheit zwischen ihnen, die sie manchmal befangen machte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihm seinen größten Wunsch bislang nicht erfüllt hatte. Sie hatte Angst vor dem letzten Schritt und sehnte sich gleichzeitig danach. Denn sie hoffte, danach auf ewig mit ihm verbunden zu sein.
    »Vielleicht liegt es daran, dass du keine von uns bist«, fuhr er fort, während sie zunehmend erstarrte. »In dir fließt nicht das Blut unserer Vorfahren. Das Blut meiner künftigen Kinder jedoch soll rein sein. Nur eine Jüdin kommt als Frau für mich in Frage. Und du bist nun mal keine. Ich kann nicht anders. Also zähle nicht auf mich. Nicht in dieser Hinsicht.«
    Verletzt und verwirrt hatte er sie zurückgelassen. Sie wagte niemanden zu fragen, was er damit gemeint hatte, ein reizvolles, frühreifes Kind, das sich so sehr bemühte, eine Frau zu spielen. Bis

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