Strasse der Sterne
aus.
Als die Lesung vorüber war, kam das Gespräch auf ein Räuberduo, das in der Gegend sein Unwesen treiben sollte, und je mehr sich einmischten, desto schrecklicher wurden die Untaten, die man ihnen andichtete.
»Aus der Freistätte von Thun sind sie geflohen«, ereiferte sich ein älterer Mann, und Speichel sprühte aus seinem zahnlosen Mund. »Dabei haben sie schon ein gutes Dutzend Pilger ausgeraubt. Und einen jungen Mann, der sich gewehrt hat, kurzerhand erschlagen.«
»Die sind doch sicherlich längst über alle Berge«, meinte ein anderer zu wissen. »Nach Freiburg. Oder weiter noch, ins Französische, nach Genf oder Lyon. Wo fettere Beute winkt. Was sollen sie denn mit Jammergestalten wie uns?«
Camino fing einen finsteren Blick des Mauren auf.
Ihm war längst klar, dass Tariq ihn für einen Wegelagerer hielt. Seine noch immer athletische Gestalt hatte nichts Mönchisches. Im Gegensatz zu anderen Pilgern, die weder Haar noch Bart schoren, sobald sie sich auf den Weg zum heiligen Jakob machten, schabte er sich jeden Morgen Kinn und Wangen. Mit dem Templerumhang, der in seinem Beutel schlummerte, hatte er auch den Bart der Mönchsritter abgelegt. Andererseits hatte er kaum Gepäck und lief so abgerissen herum, dass er auf den Mauren wie ein Habenichts wirken musste. Natürlich hatte er längst herausgefunden, wo die beiden ihr Geld versteckt hatten. Für jemanden, der es wirklich darauf abgesehen hätte, wäre es ein Leichtes gewesen, es ihnen zu entwenden.
Camino nahm sich vor, künftig noch aufmerksamer zu sein.
Die Räubergeschichte, ob wahr oder erfunden, hatte ihn nachdenklich gestimmt. Zu viele Untaten wurden längs des Weges begangen, der zum heiligen Jakob führte. Die Straße der Sterne zog nicht nur fromme Pilger an, die auf Wunder hofften, sondern auch jede Menge zwielichtiger Gestalten, die auf Beute lauerten.
Für sie die Augen offen halten - das war es, was er schon jetzt tun konnte. Ihre brennende Neugierde zu stillen war er noch nicht bereit.
*
Santa Cruz de la Seros, April 1246
Ohne Mantel, Schwert, Haube und Pferd fühlte er sich nackt. Die Bruche aus grobem Leinen scheuerte auf seiner Haut, und die eng anliegende Filzkappe ließ ihn wie einen Narren aussehen.
Trotzdem würde er sie nicht so bald absetzen können, denn seit dem Nachmittag goss es ohne Unterlass. Mehr schlecht als recht hatte er sich zum Schlafen in einem Höhlenvorsprung eingerichtet, aber der Wind trieb den Regen in feinen Fäden herein, und Kälte und Nässe ließen ihn immer wieder hochschrecken.
Als Armando in der ersten Dämmerung erwachte, hungrig und durchgefroren, verspürte er Lust, wütend gegen die Waldeinsamkeit anzubrüllen. Ein paar schwarze Krähen schienen ihn mit heiserem Krächzen zu verhöhnen. Er schrie und wedelte mit den Armen, um sie zu vertreiben, bis er verstummte, erschrocken über die eigene Lächerlichkeit. Nie zuvor hatte er sich so verlassen und mutlos gefühlt. Wie sollte er zustande bringen, was sein Mentor von ihm erwartete?
Mühsam würgte Armando etwas Brot und Käse hinunter, hart das eine, leicht schimmlig von der alles durchdringenden Nässe das andere, aber wenn er sich nicht stärkte, wie sollte er dann den weiteren Weg über die schlüpfrigen Felsen bewältigen?
Lustlos brach er auf.
Er sah nicht, was um ihn herum wuchs, nicht die Farne, nicht die Leberblümchen. Er sah weder die Buchen noch die hohen Weißtannen, ganz zu schweigen von dem Marder, der ihn erschrocken vorbeiließ.
Am dritten Tag veränderte sich das Bild.
Jetzt wurden die Steineichen immer häufiger, ein dichter, dunkelgrüner Wald, der die meisten Geräusche verschluckte. Vereinzelte Sonnenstrahlen ließen die Tropfen auf den Blättern leuchten. Unter seinen Sohlen spürte Armando weiche Moospolster. Wenigstens hatte er sich mittlerweile an das Gehen gewöhnt.
Schwieriger war sein innerer Zustand. Während Haubenmeisen hoch über seinem Kopf ihre Jungen fütterten, versuchte er sich auf das Unbekannte einzustellen, aber immer wieder glitten seine Gedanken zurück zum Kloster Leyre.
»Wozu auf einmal diese Eile?«, hatte er zum Abschied Abt Miguel gefragt. »Bist du froh, mich endlich los zu sein?«
»Es ist nichts anderes als deine innere Unruhe, die du spürst«, hatte er zur Antwort erhalten. »Und du wirst sie nicht verlieren, bis du dein Ziel erreicht hast. Es war mir eine große Freude, dich bei uns zu haben, junger Freund. Der Segen Gottes sei mit dir!«
Unversehens lichtete
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