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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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glich dem Meckern einer übermütigen Ziege. »Solange es noch etwas zu teilen gibt.«
     
    *
     
    Auf der Oberen Straße, April 1246
     
    Vor ihnen ein Taubenschwarm, die Flügel durchsichtig im Sonnenlicht. Unwillkürlich wandte Camino sich um, aber er hielt mitten in der Bewegung inne. Der Gesichtsausdruck des Mauren, der Pilars Stute am Halfter führte, war so unverhohlen feindselig, dass ihm jedes verbindliche Wort im Hals stecken blieb. Schweigend ging er weiter, froh um die Steigung des Brüningpasses, die ihm den Rhythmus der Schritte vorgab.
    Es war Pilars ausdrücklicher Wunsch gewesen, zusammen weiterzuziehen, und Tariq hatte sich schließlich gefügt. Das Mädchen hatte keinen seiner zahlreichen Einwände gelten lassen, nicht einmal den, Zeit zu verlieren, weil der seltsame Fremde kein Pferd hatte. »Und wenn schon! Du hast selber gesagt, es sei gut, wenn wir in Gesellschaft weiterziehen. Und die haben wir nun gefunden.«
    Tariq lehnte ihn ab, das hatte Camino sofort gespürt. Seitdem sie Einsiedeln verlassen hatten und über Schwyz und Stans schließlich Flüeli erreicht hatten, hatte er nur das Nötigste geredet. Kam der Abend, war er bestrebt, zwischen das Mädchen und den Fremden größtmöglichen Abstand zu bringen. Inzwischen suchte sich Camino schon aus freien Stücken einen weit entfernten Schlafplatz.
    Doch Ruhe fand er nicht.
    Hitzige Träume suchten ihn wie Fieberanfälle heim. Mal sah er Frater Niccolos kräftige Waden vor sich, die im Schneetreiben vor ihm den steilen Säumerpass emporkletterten, dann wieder die dampfenden Kessel, in denen er ihm im Hospiz auf der Gotthardhöhe Medizin gegen das Fieber zubereitet hatte. Am häufigsten aber durchlebte er jenen Augenblick, als er in der Klosterkirche die leise Mädchenstimme vernommen hatte, bäuchlings zu Füßen der Schwarzen Madonna ausgestreckt.
    Eigentlich hatte er auf ein Willkommen gehofft, auf einen leisen Widerhall, auf irgendein Zeichen, das ihm einen Hinweis gab, ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Aber die Madonna hatte geschwiegen. Und er hatte nur etwas allzu Vertrautes gespürt - Leere und Einsamkeit.
    Und dann dieses Gesicht, dieser Gang, dieser Mund!
    In einen Wirbel widersprüchlichster Gefühle hatten sie ihn gerissen und bislang nicht mehr freigegeben. Jahrelang war er geizig mit seinen Erinnerungen umgegangen. Jetzt jedoch war er mit einem Mal machtlos gegen die Flut der Bilder, die gegen ihn anstürmten wie der wilde Fluss gegen die hölzernen Pfeiler der Teufelsbrücke. Pilar wusste kaum etwas, nahezu nichts, das war ihm sehr bald klar geworden, als er die ersten Fragen gestellt hatte. Vielleicht befand er sich ohnehin auf einer verkehrten Fährte.
    Dieser Ring. Wieso trug sie ausgerechnet diesen Schmuck am Zeigefinger? Und das abgeschnittene Haar! Als ob sich die Pforten der Zeit geöffnet und ihm einen Boten aus längst vergangenen Tagen geschickt hätten.
    Er fühlte sich zu ihr hingezogen, als ob ein unsichtbares Band sie beide verknüpfe. Es bereitete ihm nahezu körperliches Unbehagen, sie hinhalten zu müssen, denn er spürte ihre stumme Enttäuschung. Zwar blieb sie ihm gegenüber freundlich, zog sich aber spürbar zurück. Es gefiel ihm, dass sie so reagierte. Die junge Pilar schien keine Frau zu sein, die sich anderen aufdrängte. Er wusste ihren Stolz zu schätzen.
    Er würde ihr Rede und Antwort stehen, sobald sein innerer Aufruhr sich gelegt hatte und er wieder fähig zu klaren Gedanken und Entscheidungen war. Es war lediglich ein Aufschub ...
    Alle drei fröstelten, als sie auf der Passhöhe angelangt waren. Pilar bat um eine längere Rast, der Maure aber trieb zum Abstieg an. Camino schwieg und genoss das Panorama der Bergriesen, die mit ewigem Schnee bedeckt waren. Sie passierten einen Wasserfall und kamen schließlich auf den steilen Weg, der hinunter zum Seeufer führte.
    Nach heftigen Schauern durchnässt, erreichten sie das Augustinerkloster in Interlaken, das nicht nur ihnen, sondern einer ganzen Pilgerschar Unterkunft bot. Beim Abendessen im Refektorium, in dem die Mönche ein wenig abseits saßen, gab es Buchweizenbrei, Brot, Käse und Bier. Camino beobachtete, dass Tariq nur ein paar Löffel probierte und seinen Becher nicht anrührte. Mit der rechten Hand rollte er die Brotscheibe zu einem Trichter zusammen, ohne die Linke in Anspruch zu nehmen, wie er es im Orient unzählige Male gesehen und selber praktiziert hatte. Die anderen am Tisch waren weniger wählerisch und löffelten alles

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