Strasse der Sterne
sich der Wald. Vor ihm lag das Dorf Santa Cruz de la Seros. Jedes Haus eine Festung, mit winzigen Öffnungen, die das Eindringen von Kälte und Nässe verhindern sollten. Seltsame Schornsteine krönten die steilen Dächer. Er entdeckte Gesichts-, Kreuz- und Pyramidenformen, die Hexen und böse Geister abschrecken sollten. Er kannte dies aus seiner Heimat Portugal.
Plötzlich stand er vor den Mauern von Santa Maria. Der kreuzförmigen Kirche mit ihrem halbrunden Chor schloss sich das weiträumige Kloster an. Vom Glockenturm schlug es gerade Mittag. Armando beschleunigte seine Schritte, und spürte jetzt eine leichte Schwäche in den Knien. Wenn er Glück hatte, wartete eine warme Mahlzeit auf ihn.
Er musste beharrlich klopfen, bis endlich geöffnet wurde.
»Da bist du ja!«, begrüßte ihn eine rundliche Nonne ganz außer Atem. »Und ich dachte schon, du würdest uns noch länger warten lassen.«
»Aber wie konntest du wissen? Hat Abt Miguel vielleicht ... ?« Ihr lachendes, sommersprossiges Gesicht brachte ihn zum Stottern.
»Abt Miguel? Nie gehört.« Sie stieß die Tür auf. »Herein mit dir! Wieso kostbare Zeit verschwenden?«
Beim Gehen fiel ihm auf, dass ihr rechter Arm in einer Schlinge lag. Sie schien seinen verstohlenen Blick bemerkt zu haben.
»Ein komplizierter Bruch. Es wird dauern, bis der wieder verwachsen ist. Ausgerechnet jetzt, wo so viel gepflanzt und gesät werden muss!«, sagte sie seufzend. »In der Küche mag es noch angehen. Da kann ich einigermaßen mit der Linken rühren, obwohl einige der Schwestern schon angefangen haben, sich über das Essen zu beschweren. Aber im Garten? Ausgeschlossen! Gottlob hab ich jetzt dich zur Hilfe. Du liebst doch Kräuter und Blumen?«
Sie waren im Klostergarten angelangt, bevor er geantwortet hatte.
»Unsere >grünende Liebe<«, sagte sie stolz. »Meine eigene kleine Schöpfung. Aber bitte kein Wort darüber zu den anderen Schwestern! Sonst schelten sie mich wieder als hochmütig, und wir wissen ja, wohin Hochmut führen kann. Es macht mich glücklich, das Wachsen und Werden zu verfolgen. Am liebsten würde ich alles für immer bewahren. Jedes Blättchen, das ich wegschneiden muss, tut mir in der Seele Leid.«
Sie winkte ihn ein Stück zur Seite. Von hier aus konnte er besser sehen, wie systematisch alles aufgebaut war: sauber abgezirkelte Beete zeigten an, wo der Küchengarten begann, den ein Zaun aus Weidenruten von dem Kräutergarten trennte.
»Dort hinten hab ich ein paar von meinen Lieblingsblumen angepflanzt, mit denen wir die Kirche schmücken. Und da drüben, unmittelbar an der Mauer, wo die Obstbäume stehen, ruhen unsere lieben Toten. Kein schönerer Ort, den man sich dafür vorstellen könnte, findest du nicht?« Sie sprudelte schier über vor Begeisterung. »Die Mutter Oberin ist einverstanden, dass du in dem Anbau neben der Speisekammer schläfst. Ein bisschen eng, aber es wird schon gehen.«
Sie trat einen Schritt zur Seite.
»Na ja, ein bisschen älter hättest du schon sein können. Aber dafür siehst du kräf t ig und ausdauernd aus.« Sie schien zu überlegen. »Ein Bauer bist du aber nicht? Du siehst jedenfalls nicht wie einer aus!«
»Nein«, sagte Armando vorsichtig. »Ich bin kein Bauer.«
»Nicht so wichtig! Wenn man sich Mühe gibt, kann man die Arbeit schnell erlernen. Und außerdem kannst du mich immer fragen. Weißt du eigentlich, wie inständig wir Gott gebeten haben, er möge dich vorbeischicken?«
»Mich?«, sagte er überrascht. »Weshalb?«
»Na ja, die allermeisten Pilger, die sich auf dem Weg zum heiligen Jakobus befinden, lassen unser Kloster links liegen und übernachten bei den Brüdern im Felsenkloster Juan de la Peña.« Ein Schatten überflog ihr Gesicht. »Du bist doch ein Pilger, oder?«
Armando dankte Abt Miguel für seine kluge Voraussicht und nickte.
»Das dachte ich mir. Ich bin Sor Angelita«, sagte sie. »Und du?«
»Armando.«
»Amando - was für ein schöner Name!« Sie hatte tiefblaue Augen und einen Mund, der immer in Bewegung war. Wenn sie lachte, was sie dauernd zu tun schien, entblößte sie eng zusammenstehende Hasenzähne.
»Armando«, verbesserte er. »Und ich wollte ...«
»Amando, sag ich doch! Auf meine Ohren konnte ich mich schon immer verlassen. Hunger?« Er nickte abermals, heftiger nun. Er spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. »Dagegen sollten wir schnellstens etwas unternehmen. Eine gesunde Seele gehört in einen gesunden Körper, das hat schon der heilige
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