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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dieses Augenblicks bewusst.« Diego schien auf einmal größer. Wir alle starrten ihn gebannt an, und er schien es zu genießen. »Ab jetzt sind wir unauflöslich miteinander verbunden. Alle hier in diesem Raum. Jeder ist jedem verantwortlich. Auf jeden Verräter wartet der Tod.«
    *
    Die kleine Elena war rosig und golden. Zarter Flaum spross auf ihrem Köpfchen. Beim Gähnen zitterte ihre winzige Zunge. Bislang hatten Neugeborene mich wenig interessiert. Als ich mich jetzt jedoch über ihre Wiege beugte, durchflutete mich eine Welle von Zuneigung, und meine Brüste wurden hart.
    »Sie wurde mit einer Glückshaube geboren«, sagte Consuelo strahlend. Wie eine Königin thronte sie in ihrem Alkoven und schien es zu genießen, Hof zu halten. »Das heißt, dass sie ihr Leben lang beschützt sein wird. Hast du gesehen, wie blau ihre Augen sind? Elena wird eine Schönheit sein, noch bevor sie laufen kann.«
    Mein Kind auch, wollte ich schon sagen, presste aber im letzten Moment die Lippen zusammen.
    »Was ist los, Blanca?« Consuelo musterte mich eingehend. »Du bist blass. Und ich sehe Schatten unter deinen Augen. Du wirst doch nicht etwa wieder krank?« »Ich habe nicht viel geschlafen. Das ist alles.«
    Sie ließ sich nicht beirren. Hatte Consuelo erst einmal Witterung aufgenommen, gab es nichts, was sie davon abbringen konnte.
    »Es könnte nicht zufällig an dem Fremden liegen, der seit Neuestem für deinen Bruder arbeitet? Ein stattlicher Mann, wie ich mir habe sagen lassen. Verwitwet? Es war nur von einer Tochter die Rede. Nicht von einer Frau. Sie leben im Nachbarhaus?«
    Es gab nichts in dieser Stadt, was sie nicht erfuhr!
    »Diego schätzt ihn sehr«, sagte ich rasch. »Roger verfügt über ungewöhnliche Talente. Sie arbeiten gern zusammen. Das ist alles. Ich kenne ihn kaum.«
    »Ein Franzose?«
    Ich nickte.
    »Und du meinst wirklich, er und du ...«
    »Sei still«, sagte ich. »Quäl mich nicht. Du weißt genau, an wen ich Tag und Nacht denke.«
    Consuelo zeigt ihr schönstes Lächeln. »Was würdest du sagen, Blanca, wenn ich noch eine Überraschung für dich hätte?«
    Die Kleine in der Wiege begann zu weinen. Mein Kopf fuhr sofort zu ihr herum.
    »Reichst du sie mir?«, bat Consuelo. »Sie scheint hungrig zu sein. Manuel wollte mir schon eine kräftige, junge Amme besorgen. Aber ich habe beschlossen, sie selber zu stillen.«
    Ich hob sie vorsichtig heraus. Weich und warm lag sie in meinen Händen. Ihr Kopf war so wohlgeformt, und der Geruch, der ihr entströmte, trieb mir Tränen in die Augen.
    »Wie frisches Brot!«, sagte ich und hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen. »Und die kleinen Hände!«
    »Du solltest selber bald Kinder haben.« Ungeniert entblößte Consuelo eine pralle, rosige Brust. Sie legte das Kind an, und Elena begann so hastig zu saugen, dass sie sich verschluckte. »Wenn du deinem Bruder noch lange nacheiferst, wirst du bald eine alte Jungfer. Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als irgendwann doch den Schleier zu nehmen.«
    »Consuelo!«, sagte ich scharf. »Du weißt genau ...«
    Sie kicherte wie ein Mädchen.
    »Ich wollte dich doch nur auf die Probe stellen«, sagte sie. »Hast sie bestanden, Blanca. Du erinnerst dich? Meine zweite Überraschung ...«
    Der schwere Vorhang teilte sich - und ich erblickte eine große, weiß gekleidete Gestalt.
    »Oswald«, flüsterte ich. »Du bist zurück!«
    *
    Die feuchte Wärme seines Mundes berauschte mich, und meine Hände wurden nicht müde, seinen Körper zu erkunden, aber alles war anders als vor seiner Abreise.
    Eine kühle Fremdheit stand zwischen uns. Natürlich gab es Gründe dafür: die Krankheit, die mir viel Zeit zum Nachdenken gegeben hatte. Die Gewissheit, dass mein Bruder zu Hause auf mich wartete. Und vor allem natürlich das Geheimnis, das in mir wuchs. Vielleicht war es auch die Tageszeit, die mich so bang und reizbar machte, jene langen, warmen Nachmittagsstunden, in denen jedes Leben auf den Straßen erlischt.
    Ich hörte seine atemlosen Worte - und konnte mich ihnen nicht öffnen. Immer wieder musste ich an Pierre denken, der vielleicht in diesem Moment gefoltert wurde. Die Reinen schworen nicht, wie sie auch jedes Sakrament ablehnten. Aber wir hatten bei unserem Leben gelobt, für einander da zu sein.
    Ich war eine von ihnen. Ich gehörte nicht zu ihm.
    »Ich hätte niemals gehen dürfen«, flüsterte Oswald. »Aber vielleicht musste ich es tun, um zu spüren, wie sehr ich dich vermisse. Niemand kann uns beide jemals

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