Strasse der Sterne
früh aus dem Nest gestoßen. Ich mochte sie nicht. Mehr als das, sie war mir regelrecht zuwider.
Unglücklicherweise schien sie ausgerechnet mich als Freundin auserkoren zu haben. Sie klebte an mir, ließ sich weder durch Blicke noch durch Worte abschütteln. Schon ihr Anblick genügte, um mir die Laune zu verderben. Zeigte sie dann auch noch die Hasenzähne, in diesem aufgesetzt demütigen Lächeln, das sofort wieder verschwand, kaum war ihr Vater aus dem Raum, geriet ich in Rage.
»Wieso bist du so abweisend?«, stellte Diego mich bald schon zur Rede. »Die Kleine hängt an dir.«
»Ich behandle sie nicht anders, als ihr Vater es tut«, gab ich zurück. »Rogers Mund mag sagen, was er will. Aber seine Blicke und Gesten verraten, wie lästig sie ihm ist. Angelita hätte niemals geboren werden sollen, richtig? Denn jedes neue Leben verlängert nur den unseligen Kreislauf. Das hast du mir mindestens hundertmal erzählt. Geschlechtlichkeit ist Teufelswerk. Das gilt für alle Reinen. Und die Vollkommenen müssen sich erst recht enthalten.«
»Das ist richtig. Die irdische Welt hat der Teufel erschaffen. Und unser Leben auf Erden ist Lüge und Trug. Kein Reiner sollte sich vermehren.«
Ich nickte unwirsch. Kein Tag und keine Nacht, wo mir solche Sätze nicht in der Seele brannten!
»Aber Roger macht die Kleine dafür verantwortlich, nicht sich«, sagte ich. »Oder ihre Mutter. Wo ist sie eigentlich?«
Diego zuckte die Achseln.
»Sie war ein junges, einfaches Mädchen, keine Reine. Deshalb hat er ihr das Kind gleich nach der Geburt weggenommen, um es im rechten Glauben zu erziehen. Außerdem mag ich es nicht, wenn du so redest. Das passt nicht zu meiner Blanca.«
»Dann magst du die Wahrheit nicht, Diego.«
Mir war nach Konfrontation zumute. So viel Wildes, Unausgesprochenes hatte sich in mir aufgestaut.
»Du bist alt genug, um gewisse Dinge zu begreifen.« Er bekam einen schmalen Mund. »Manchmal ist die Versuchung übermächtig. Und wir erliegen ihr, obwohl wir Gott geschworen haben, es nicht zu tun. Das betrifft vor allem uns Männer. Wenn das geschieht, passieren eben solche - Unfälle.«
Er nestelte an seinem Gürtel. Ich spürte, wie peinlich ihm diese Unterhaltung war.
»Wir sollten uns dennoch glücklich schätzen, dass er endlich bei uns ist«, fuhr er fort. »Schließlich ist Roger der Perfectus, auf den wir lange gewartet haben.«
»Einen Unfall nennst du das?«, entrüstete ich mich. »Was können Kinder dafür, wenn sie gezeugt werden? Die Kinder sind dabei doch die Unschuldigen!«
Mein Puls raste. Diego konnte nicht wissen, was mich zu diesem Ausbruch veranlasste, zumindest hoffte ich es.
»Was ist mit dir, Blanca?«, sagte er. »So kenne ich dich gar nicht - so hart, so zornig.«
»Ich war sehr krank«, sagte ich schnell. »Beinahe wäre ich gestorben. Und bin noch immer auf dem Weg der Genesung. Du musst Geduld mit mir haben.«
»Aber das habe ich doch, geliebte Schwester!«
Sein Kuss brannte auf meiner Wange. Ich lief hinauf in mein Zimmer, um ihn abzuwaschen. Ich konnte Diegos Berührungen kaum noch ertragen. Und ich sehnte mich nach dem Ring mit dem grünen Stein, den ich nur noch tragen konnte, wenn ich allein war. Sein Feuer ließ mich auch jetzt ruhiger werden.
Ich starrte in das Grün und versuchte mir Oswalds Augen vorzustellen. Wenn er erfahren würde, welche Überraschung ich für ihn bereit hatte ...
Mein Lächeln erlosch, als die Tür aufging. Gerade noch rechtzeitig konnte ich den Ring abziehen und in meine Gewandtasche gleiten lassen.
»Du!«, sagte ich, als ich Angelita erblickte. Ihr Haar war zu einem strengen Knoten gebunden, wie ihn sonst nur alte Frauen trugen. Zudem steckte Roger sie in dunkle Kleider. Dabei liebte sie alles, was glänzte und glitzerte. »Was willst du?«
»Mein Vater möchte dich sehen.«
»Weshalb?«
»Es geht um deine Endura.« Ihre altkluge Stimme verursachte mir Gänsehaut. »Am liebsten gleich.«
»So, will er das? Aber ich habe jetzt keine Zeit. Und die Endura ist allein meine Angelegenheit«, sagte ich schroff. »Das kannst du ihm bestellen.«
Ihre Augen verdunkelten sich. Das Gesicht schien zu verfallen. Für einen Moment tat sie mir beinahe Leid.
»Diese Antwort wird ihm nicht gefallen.« Sie streckte ihr spitzes Kinn heraus. »Mein Vater ist nicht an Widerworte gewöhnt.«
Mein Mitgefühl verschwand so schnell, wie es gekommen war.
»Das ist mir egal. Und jetzt lass mich allein.«
Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht
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