Strasse der Sterne
hatte, noch bevor sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Ihr Blick hatte nichts Kindliches mehr, eine Mischung aus Verschlagenheit und Verletztheit, die mir nicht aus dem Sinn gehen wollte. Ich hätte klüger sein müssen. Jetzt hasste sie mich vermutlich und würde mich noch weniger aus den Augen lassen.
Mein stilles Hochgefühl war verflogen.
Meine Lage hätte prekärer nicht sein können. Ich gehörte den Reinen an, die nicht gebären durften, und erwartete ein Kind von einem Mönch, der seinem Papst Gehorsam und Gott ewige Keuschheit geschworen hatte.
Lautes Poltern ließ mich zusammenfahren. Auf der Treppe waren hastige Schritte zu hören.
»Sie haben Pierre«, keuchte Sancha mit hochrotem Kopf, als ich die Tür aufriss, um nachzusehen. »Er wurde soeben in Ketten abgeführt.«
*
»Wie ist er ihnen ins Netz gegangen?«
Nur wenig später saßen wir alle zusammen um den großen Tisch, Diego, Roger, Sancha, Carmela, unsere Magd, Angelita und ich. Ausnahmsweise hielt die Kleine den Mund und beschränkte sich darauf, vom Brotlaib winzige Stückchen abzubrechen und zu zerkrümeln.
»Die Frau, die für ihn kocht und wäscht, hat geredet«, sagte Sancha. »Pierre war sich so sicher, dass er sich auf sie verlassen könne. Aber er hat sich getäuscht.«
»Ich würde niemals etwas verraten«, rief Carmela, die ebenfalls der Lehre der Reinen anhing. »Nicht ein Wort kommt über meine Lippen!«
»In Albi, Moissac und Toulouse haben sie letztlich alle geredet«, sagte Roger düster. » Es kommt ganz auf die Methoden an, mit denen man Menschen zum Sprechen bringt. Einer Streckbank oder eisernen Jungfrau kann kaum einer auf Dauer widerstehen. Das Fleisch ist schwach. Das dürfen wir niemals vergessen. Es könnte jeden von uns treffen.«
Die Vorstellung von Pierres gebrechlichem Körper auf diesen Folterinstrumenten ließ uns alle verstummen.
»Wir müssen ihm helfen«, sagte Diego schließlich. »Das sind wir ihm schuldig.«
»Wie willst du das anstellen?« Ich spürte die zarten Bewegungen des Ungeborenen wie Schmetterlingsflügel, aber anstatt mich darüber zu freuen, traten Tränen in meine Augen.
»Du musst nicht weinen, Blanca«, sagte mein Bruder. »Noch ist nichts endgültig verloren. Wir werden als Erstes den Schatz im Innenhof ausgraben. Das verschafft uns wenigstens eine gewisse Bewegungsfreiheit.«
»Du willst die Schwarzkutten bestechen?«, fragte Sancha fassungslos.
»Natürlich nicht. Welchen Sinn hätte das? Aber ihre Folterknechte und Henker. Das Silber muss reichlich fließen. Und zwar in die richtigen Hände. Kommst du, Roger? Es gibt eine Menge zu tun.«
Wir verfolgten vom Fenster aus, wie sie das Erdreich aufgruben und schließlich eine große Metallkiste zum Vorschein kam. Zu zweit schleppten sie sie herein.
Als Diego den Deckel aufklappte, entwich Angelita ein Laut der Überraschung.
Es schienen vor allem Silbermünzen zu sein, aber es blitzten auch goldene dazwischen auf, Ketten, Armbänder und Ringe mit funkelnden Edelsteinen. Auch mir verschlug es die Sprache. Ich hatte zwar von dem vergrabenen Schatz gewusst, aber keine Ahnung von seinen Ausmaßen gehabt. Mein Bruder verstand sich darauf, seine Geheimnisse zu bewahren.
Er zögerte keinen Augenblick.
»Füllt diese zwei Lederbeutel mit Münzen«, befahl er. »Und sucht fünf der kostbarsten Ketten aus. Das müsste fürs Erste genügen.«
Sancha gehorchte sofort. Ihre mageren Finger wühlten eilfertig in der Pracht.
»Darf ich auch?«, bat Angelita begierig. »Nur ein einziges Mal will ich das Gold berühren!«
»Finger weg!«, herrschte Roger sie an. »Das ist kein Kinderspielzeug. Es muss Leben retten.«
Erschrocken fuhr sie zurück; ihre Unterlippe zuckte, aber sie kämpfte mühsam um Beherrschung.
»Was geschieht mit dem Rest?«, wollte Roger wissen, als Sancha fertig war. »Willst du ihn künftig im Haus aufbewahren?«
»Damit sie ihn bei der nächsten Visitation finden? Die Kiste kommt natürlich wieder unter die Erde«, sagte Diego. »Oder hast du eine bessere Idee? Wir brauchen sie. Falls sie weitere von uns erwischen. Das schauerliche Spektakel ist noch nicht vorüber. Ich fürchte, es hat gerade erst begonnen.«
Seine Augen funkelten. Ich spürte seine Anspannung, aber da war noch etwas, etwas Dunkles, Fremdes, das mir Angst machte. Es dauerte, bis ich begriff, was es sein konnte, aber schließlich wusste ich es: Das Spiel von Jäger und Gejagten erregte ihn!
»Ich hoffe, ihr seid euch der Ernsthaftigkeit
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