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Strasse der Sterne

Strasse der Sterne

Titel: Strasse der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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des Heiligen vor Wind und Wetter zu schützen. Seitdem ist die Muschel das Symbol des Jakobus. Und jeder, der zu ihm pilgert, nimmt sie als Erinnerung mit nach Hause.«
    »Was geschah dann?«
    »Jakobus wurde in einem Wald bestattet. Viel später sah ein frommer Einsiedler an dieser Stelle plötzlich ein helles Strahlen am Himmel und hörte Gesänge. An dieser Stelle errichtete man zunächst eine Kapelle, später eine Kirche. Seitdem ruht Santiago auf dem Sternenfeld. Und so lautet der Name der Stadt, Santiago de Compostela.«
    »Es sollen Wunder an seinem Grab geschehen sein«, sagte sie nachdenklich. »Sehr viele Wunder, wenn die Berichte stimmen. Meinst du, wenn man ihn ganz herzlich bittet ...«
    »Gnade kann man nicht erbitten«, sagte Camino nach einer Weile. »Gnade geschieht ohne unser Zutun. Aber du kannst glauben, Pilar. Ja, das kannst du.«
    Sie hob den Kopf. Ihre Augen mussten einst sehr blau gewesen sein. Jetzt hatte der Schleier der Blindheit sie getrübt.
    »Und weshalb pilgerst du zu ihm, Camino?«, fragte sie leise. »Wirst du es mir eines Tages verraten?«
     
    *
     
    Toledo, Mai 1246
     
    Sie hasste Toledo, auch wenn sie bislang nur ein paar enge Gassen und Häuserdächer davon gesehen hatte.
    Und sie hasste Felipe, dessen Gefangene sie nun war.
    Schuld daran war ein rostiger Nagel, den sich Estrella eingetreten hatte. Die kastilische Hochebene war ihr vorgekommen wie ein ausgetrocknetes Meer, weit und leer. Sie hatte Lust verspürt, die Glut des staubigen Bodens mit den bloßen Sohlen zu erfühlen und die Schuhe leichtsinnigerweise ausgezogen.
    Es war nicht schwierig gewesen, den Nagel herauszuziehen. Die Wunde blutete nur kurz, und sie hatte die Sache schnell wieder vergessen. Erst Tage später schwoll ihr Fuß an; sie klagte über Mattigkeit und litt unter Schweißausbrüchen. Kurz danach kam das Fieber, und Felipe musste sie mehr tot als lebendig in die stolze Stadt schleppen. Ihre Muskeln schmerzten, als habe sie schwere Lasten bewegt, sie wurde von Krämpfen geschüttelt, ihr Mund verzog sich zu einem hässlichen Grinsen.
    Er blieb bei ihr, kühlte ihre Stirn und trieb irgendwann eine streng riechende Salbe auf, mit der er die Verletzung bestrich.
    Dass sie im Haus eines Juden gestrandet waren, merkte sie erst, als sie zwischendrin die Augen aufschlug und auf einer dunklen Holztruhe die Menora erblickte, den viel- armigen Leuchter, den ihre Eltern für Chanukka benutzt hatten. Jeden Tag ein Licht mehr, das angezündet werden durfte - wie hatte sie als Kind Jahr für Jahr darauf gefiebert!
    »Und Gott schuf am zweiten Tag die beiden großen Lichter: die Sonne und den Mond ...«
    Stundenlang hätte sie ihrer Mutter zuhören können. Aber die Lieder und Gebete, die öltriefenden Speisen, die feierliche Stimmung zu Hause, die Geschenke - nichts als Lüge und Betrug. Sie war nicht das Kind dieser Eltern. Sie war ein Wechselbalg, der zu niemandem gehörte.
    Ein Gefühl der Bitterkeit überwältigte sie.
    »Er wird mich in seine Schmiede aufnehmen.« Felipes Gesicht strahlte. »Das Wandern hat ein Ende, meine Schöne. Dass ich ein Bastard bin, kümmert Elias nicht. Und das mit dem Hinken ist ihm auch egal. Das Einzige, was zählt, ist meine Arbeit am Amboss. Er konnte kaum fassen, wie geschickt ich bin. Ach, Estrella, was für Aussichten: erst die Messer, dann die Dolche. Und irgendwann die Schwerter!«
    Sie fiel in den Dämmerschlaf zurück.
    Als sie wieder erwachte, durchzog der Geruch von Hühnersuppe das Haus. Estrella leerte drei Näpfe und verschlang ein halbes Brot, so ausgehungert war sie. Mit den Lebenskräften kehrte allerdings auch ihr Verstand wieder zurück.
    »Was hast du dem Juden dafür gegeben, dass er dich aufnimmt?«, wollte sie wissen. »Erzähl mir bloß nicht, es wäre Safran gewesen! Die paar Stäubchen, die unser dürres Bäuerlein rausgerückt hat, waren wirklich nicht der Rede wert.«
    »Nur ein kleines bisschen Freundlichkeit deinerseits - und wir hätten gemachte Leute sein können.«
    »Was war es? Und lüg mich nicht an!«
    Felipe begann an der Bettdecke zu nesteln. All seine Frechheit war mit einem Schlag verflogen.
    »Nein«, sagte Estrella, die plötzlich eine schreckliche Gewissheit überfiel: Der Preis war der grüne Stein gewesen. Das Einzige, was sie noch mit ihrer Vergangenheit verband. Nicht einmal Laila hatte gewagt, ihn anzutasten. »Nicht mein Stein. Das konntest du nicht wirklich ...« »Vergiss deinen Stein! Ich werde wunderbare Messer machen und damit

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