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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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bin ich nun auch wieder nicht, mein Junge.«
    »Haben Sie genug Patronen?«
    Der Reverend sah zu David hinunter. »Mehr als wir brauchen.« Er griff in seine Manteltasche und holte zwei Schachteln Munition hervor. »Genug für eine kleine Armee. Aber so viel verschießen wir gar nicht.«
    »He, Männer, wollt ihr die Stöckchen umschießen oder nur so lange quatschen, bis sie umfallen?« Abby hatte die Überreste des Picknicks weggeräumt und alles im Wagen verstaut.
    »Gute Frage«, sagte der Reverend und lächelte sie an. Du lieber Himmel, dachte er, seit Jahren hab ich mich nicht mehr so glücklich gefühlt.
    Mit Mühe riss er den Blick von ihr los. Sie sah großartig aus, wie sie so dastand, die Hände hinter dem Rücken und die großen leuchtenden Augen auf sie gerichtet.
    »Also gut, mein Junge«, sagte der Reverend. »Das ist ein 36er Navy-Revolver, das 1861er Modell. Er ist umgebaut worden, für moderne Munition anstatt Kugeln mit Zündhütchen.«
    »Warum nicht gleich ’nen neuen kaufen? Papa sagt, einen 45er muss man haben.«
    »Der hier hat mir gute Dienste geleistet. Ich bin mit ihm vertraut und mag es, wie er in der Hand liegt. Bei einer Waffe ist nicht nur das Kaliber wichtig. Genau genommen ist das Wichtigste der Mann, der sie benutzt.«
    Der Reverend spannte langsam den Hahn, hob den Lauf und schoss.
    Eines der Stöckchen war plötzlich weg.
    Nach fünf weiteren Schüssen waren fünf weitere Stöckchen verschwunden.
    »Sie schießen gut«, sagte David, »aber ziemlich langsam.«
    »Ich bringe dir das Schießen bei, nicht das schnelle Ziehen.«
    »Aber das will ich auch lernen.«
    »Geh und stell noch ein paar Stöckchen auf.«
    Das tat David, und währenddessen sahen Abby und der Reverend einander schweigend an. Sie mussten gar nicht mehr unbedingt miteinander reden, denn es herrschte eine angenehme Stille zwischen ihnen.
    David kam zurück und trat wieder neben den Reverend. »Und jetzt ich?«
    »Gleich.« Der Reverend lud den Revolver und steckte ihn vorne in das Tuch über seinem Hosenbund.
    Dann zog er. Fast konnte David der Bewegung folgen. Die Hand des Reverend zuckte durch die Luft, er zielte, spannte den Hahn, drückte ab, das erste Stöckchen löste sich in Luft auf, der Hahn wurde wieder gespannt, wieder krachte ein Schuss, noch einer und noch einer und noch einer, bis die Luft von beißendem Qualm erfüllt war. Sämtliche Stöckchen waren knapp über dem Boden entzweigeschossen.
    »Großer Gott!«, sagte David.
    »Pass auf, was du sagst, mein Junge. Der Herr ist nicht annähernd so begeistert von gezielten Schüssen, wie wir es sind.«
    »Gottverdammt, Sie sind bestimmt genauso gut wie Wild Bill Hickok.«
    »Wahrscheinlich besser«, sagte der Reverend in ernstem Tonfall.
    »Kann ich jetzt schießen? Ich will’s auch probieren.«
    »Aber noch nicht schnell ziehen. Nur schießen.«
    David nickte, und der Reverend lud nach. »Warum kein Holster? Ich hab gedacht, um schnell zu ziehen, muss man eins haben?«, sagte David.
    »Das kommt aus den Schundromanen, Junge. Hickok zum Beispiel hat den Revolver immer in einer Schärpe getragen. Und wenn das Korn weggeschliffen ist« – der Reverend hob die Spitze des Revolvers, damit David sah, dass der Lauf vorne glattgefeilt war – »kann sich auch nichts verhaken. Holster halten den Revolver gerne fest. In einer Schärpe oder einfach in deinem Gürtel, das ist besser. Geh und stell noch ein paar Stöckchen auf.«
    David rannte über den Weg. Diesmal nahm er ein großes Bündel und steckte sie alle in einer Reihe nebeneinander. Dann zählte er sie. Elf.
    Er rannte zurück und stellte sich neben den Reverend.
    Der Reverend reichte ihm den Revolver. »Wenn du so weit bist, greif die Waffe ganz fest und strecke sie wie einen Finger aus. Versuch nicht zu zielen. Stell dir einfach vor, du hebst einen Finger und zeigst mit ihm auf eines der Stöckchen. So zielst du automatisch besser. Und dann ganz sanft den Abzug drücken.«
    David hob den Revolver, spannte den Hahn und schoss. Weit daneben. Seine Kugel hatte sich noch auf dem Postkutschenweg in die Erde gebohrt.
    »Du versuchst krampfhaft zu zielen. Du musst eins werden mit der Waffe. Sie muss wie ein Teil von dir werden, wie ein Finger aus Metall.«
    »Kann ich sie mir in den Gürtel stecken und ziehen?«
    »Nur wenn du deine Männlichkeit einbüßen willst.«
    David überlegte. »Sie meinen, ich schieß mir womöglich den Schniedel ab?«
    »Genau.«
    Abby lachte.
    »Tschuldigung, Madam«, sagte David,

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