Straße der Toten
so viel wie möglich davon aus ihm heraus.
Sie fühlten sich wohl, und der Reverend ertappte sich bei dem Wunsch, sie könnten alle drei zusammenbleiben. Aber er machte sich keine allzu großen Hoffnungen – die meisten Dinge, die er sich wünschte, zerfielen in seinen Händen zu Asche. Er kam sich vor wie eine Art Jonas, als ob alles, was er anfasste und woran ihm etwas lag, verdorben und vernichtet würde. Ginge sein Wunsch in Erfüllung, dann würde es nicht lange dauern, bis alles den Bach runterging.
Ein furchtbarer Fluch für einen Mann, der sein Leben dem Heil und dem Glück anderer gewidmet hatte. Er selbst durfte nie von dieser Quelle kosten, an der sich andere labten. Und wenn er zu lange bei seinen Schäfchen verweilte, vergiftete er die Quelle unweigerlich.
»Also«, sagte David, »krieg ich jetzt Schießunterricht?«
»Warum so eilig?«, fragte der Reverend.
»Ich würde halt gern mal die verdammte Knarre in die Hand nehmen«, sagte David.
»Das ist wohl Grund genug«, sagte der Reverend. »Noch ein Glas Tee, und wir können loslegen.«
»Das haben Sie schon mal gesagt«, meinte Abby.
»So, hab ich das?« Der Reverend goss sich ein weiteres Glas Tee ein. »Aber diesmal muss ich ran. Der Krug ist leer.«
Sechs
Während David, Abby und der Reverend sich solchermaßen vergnügten, trat Cecil, einer von Molly McGuires Köchen, in die Gasse hinaus, um das Fett vom Vormittag wegzuschütten. Dabei sah er ein paar Füße mit blankgeputzten Schuhen oben aus dem großen hölzernen Kehrichtkübel herausragen.
Er setzte den Fettbottich ab und schaute in den Kübel. Der Dreck, der eigentlich hineingehörte, war über die ganze Gasse verteilt. Im Kübel selbst befanden sich nur ein Mann und ein großer gelber Hund. Der Hund, der ihnen allen das ganze Jahr solchen Ärger gemacht hatte.
Cecil war ein Mann von gut hundert Kilo und über einsachtzig groß. Er krempelte die Ärmel hoch – seine beiden muskulösen Arme waren seit seiner Zeit bei der Marine mit Ankern tätowiert – und zog. Doch der Körper kam nicht frei. Der Kopf der Leiche klebte in dem geronnenen Blut am Boden des Kübels fest. Außerdem war sie mit dem Hundekadaver verkeilt.
Cecil griff noch einmal fester zu, grunzte und zog.
Diesmal löste sich die Leiche, wobei allerdings ein ziemlicher Fetzen Kopfhaut samt Haaren am Boden des Kübels zurückblieb.
Cecil warf die Leiche des Mannes auf den Boden. Abgesehen vom Genick, wo der Kopf nur noch lose am Nacken hing, war sie steif wie ein Brett. Die Zunge hing ihr aus dem Mund, fast dreißig Zentimeter lang und so schwarz wie ein Streichriemen.
»Hab ich mir doch gedacht, dass du das bist«, sagte Cecil. »Guten Morgen, Herr Bankier. Nimm’s nicht persönlich, dass du tot bist.«
Das war eine Anspielung auf das, was Nate bei der Zwangsvollstreckung damals auf Cecils Farm gesagt hatte: »Nimm’s nicht persönlich, dass du pleite bist. Ich tu nur meine Pflicht.«
»Siehst genauso aus wie immer«, sagte Cecil. »Eigentlich sogar besser, du alter Furz.«
Cecil kratzte sich, sensibel wie er war, am Sack und schaute noch einmal in den Kübel nach dem Hund. Das Vieh sah aus, als wäre es zu einer Kugel zusammengedrückt worden. Das Maul war ihm wie eine Quetschkommode in den Schädel geschoben worden, und beide Augen hingen ihm an Sehnen aus dem Kopf, als hockten da zwei fremdartige Insekten. Der Hund stank genauso wie Nate nach Scheiße.
Cecil kramte eine Zigarre aus seiner weißen Hemdtasche – manchmal rieselte die Asche von seinen Stumpen in der Küche ins Chili – und zündete sie an. Normalerweise wartete er bis zum Abend mit der einen Zigarre, die er sich jeden Tag gönnte, aber zum Teufel, das war schon ein Grund zum Feiern. Der verdammte Köter hatte zum letzten Mal einen Müllkübel umgeschmissen, und der gute alte Nate Foster – halbtags Bankier, halbtags Säufer und ganztags ein Arschloch – hatte zum letzten Mal eine Farm gepfändet.
Cecil ging zurück ins Café, genehmigte sich in der Küche einen Schluck Sherry und ging dann nach vorne, um dem Sheriff (der gerade mit Caleb beim Mittagessen saß) Bescheid zu sagen.
Sieben
Der Hund blieb im Abfallkübel, aber Nate trugen sie rüber zum Bestatter und ließen den Arzt holen.
Als Doc schließlich eintraf, sah Nate kein bisschen besser aus. Der Sheriff, der Bestatter Steve Mertz und Caleb standen neben der Leiche und glotzten sie an.
»Was meinen Sie, Doc, ist er tot?«, fragte Mertz.
»Vermutlich hält er bloß mal kurz
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