Straße der Toten
überstehen.«
»Versprechen Sie’s.«
»Wenn es schlecht steht. Sie haben mein Wort.«
»Und wenn ich kann, tu ich das Gleiche für Sie.«
»Machen Sie bloß nichts Überstürztes. Ich hab’s nicht so eilig. Seien Sie verdammt sicher, dass das Ende naht.«
Kaum waren die letzten Worte verklungen, da hörten sie auf der Treppe Schritte. Der Schein der Laterne tauchte das Zimmer in ein sanftes Licht, und durch das offene Fenster wehte ein kühler Luftzug herein und strich ihnen über den Rücken. »Drehen Sie sich um und behalten Sie das Fenster im Auge«, sagte Jebidiah. »Wenn eine Motte, ein Vogel oder eine Fledermaus reinfliegt, erschießen Sie sie, wenn möglich.«
»Das schaff ich nicht. Ich muss genau davorstehn, um zu treffen.«
»Sie haben sich heute Nacht sehr geschickt angestellt.«
»Das eine war ein Glückstreffer, und beim anderen Mal hätte nicht mal ein Blinder danebengeballert.«
»Wenn es was Kleines ist, schlagen Sie es einfach tot.«
Dann schwiegen sie. Auf dem Treppenabsatz knarrten Dielen.
Jebidiah wischte sich die Finger am Mantel trocken und nahm den Revolver wieder in die Hand. Mit der anderen Hand tat er das Gleiche. Er richtete beide Revolver auf die Tür.
Ein dunkler Schatten fiel in das Zimmer, doch Jebidiah konnte nicht erkennen, was da im Flur lauerte. Der schwarze Umriss bewegte sich, wurde zu einem öligen Ding, das langsam Gestalt annahm, über den Boden floss und sich dann aufrichtete.
Es war eine Wolfsbestie mit gefletschten Zähnen. Jebidiah war zu verblüfft, um zu reagieren, und jetzt stürzte sich der Wolf auf ihn. Der Prediger wurde quer durchs Zimmer geschleudert, bis zum Fenster und hindurch.
Er fiel. Und blieb mit einem Schuh am Fensterrahmen hängen. Der Wolf beugte sich hinaus und griff nach seinen Hosenbeinen, um ihn nach oben zu ziehen. Er riss sein Maul so weit auf, dass Jebidiah meinte, bis tief in den Abgrund der Hölle zu blicken. Sein Atem roch nach sämtlichen toten und verrotteten Geschöpfen, die es je gegeben hatte. Gleich würde er Jebidiah in den Schritt beißen.
Marys Gewehr krachte zweimal, und der Wolf ließ ihn los. Jebidiah stürzte nach unten, landete mit dem Rücken auf der Straße und wirbelte eine kleine weiße Staubwolke auf. Er schlug so hart auf das Pflaster auf, dass ihm der Atem wegblieb und er das Bewusstsein verlor.
Als er wieder zu sich kam, war ihm klar, dass er nur kurz ohnmächtig gewesen war. Aus dem Hotelzimmer über ihm waren laute Schreie zu hören. Er wollte sich bewegen, doch ein scharfer Schmerz fuhr ihm die Wirbelsäule hinauf – es fühlte sich an, als stünde sie in Flammen. Vorsichtig setzte er sich auf und versuchte seine Beine zu bewegen. Immerhin, das ging noch. Ganz offensichtlich hatte er Glück gehabt. Sein Kopf schmerzte, als hätte er zehn Tage lang gesoffen.
Er hob seine Revolver auf, die im Staub lagen, und ging zum Eingang des Hotels hinüber.
Ein Schuss krachte, und das Schreien brach ab. Jebidiah blickte zum Fenster hoch, dem Wolf direkt in die Augen. Seine Schnauze triefte vor Blut. Er kletterte aus dem Fenster und krabbelte an der Mauer entlang nach unten.
Der Prediger eröffnete das Feuer und traf die Bestie genau in dem Moment in den Kopf, als sie den Boden erreichte. Es war ein sauberer Schuss, der genau über dem linken Auge eintrat.
Das Tier machte einen Satz auf ihn zu, Jebidiah ließ die Revolver fallen und packte den Wolf an den Schultern. Dabei drückte er den Kopf der Bestie beiseite, um den schnappenden Zähnen zu entgehen. Dann ließ er sich nach hinten fallen und rammte dem Wolf dabei den Fuß in den Magen, sodass dieser über ihn hinwegsegelte.
Jebidiah sprang auf die Füße und griff nach seinen Revolvern, während der Wolf noch auf dem Rücken lag. Er bewegte sich nicht. Jebidiahs Schuss war offenbar gut platziert gewesen, er hatte nur lange gebraucht, um Wirkung zu zeigen.
Der Wolf verlor sein Fell, veränderte seine Gestalt und wurde zu einem nackten Konquistador. Das Fleisch fiel aufs Pflaster, und zurück blieb nur noch ein Haufen Knochen.
Nachdem Jebidiah seine Revolver nachgeladen hatte, schritt er zur Vordertür des Hotels und blieb einen Moment davor stehen. Die Tür war immer noch weit offen. Er glitt mit den Revolvern im Anschlag hinein. Dabei musste er an Mary denken, atmete tief durch und stieg die Stufen empor. Bei jedem Schritt knarrte das Holz. Er glaubte, oben auf dem Treppenabsatz einen Schatten wahrzunehmen, und blinzelte, konnte aber nichts Genaues
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