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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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hätte der Truck mich und den Wagen zu einem Etwas von der Größe eines Brühwürfels zermalmt. Ich stieg aus, um den Schaden zu begutachten. Es sah aus, als wäre das Auto im Sturzflug mit Mehl bombardiert worden. An einigen
Stellen war der Lack abgesprungen, und das blanke Metall schimmerte durch. Ich dankte Gott, dass meine Mutter ein gutes Stück kleiner war als ich. Ich seufzte und fühlte mich plötzlich allein und weit weg von zu Hause. Dann bemerkte ich ein Straßenschild, das den Weg nach Quincy anzeigte. Der Wagen war in der richtigen Richtung zum Stehen gekommen. Wenigstens etwas.

    Genug für heute. Es war höchste Zeit für eine Pause. An der Straße lag ein Städtchen, das ich aus Angst, seine Bürger könnten sich in meinen Erzählungen wiedererkennen und mich vor Gericht bringen oder mir einen Besuch abstatten, um mich mit ihren Baseballkeulen zu traktieren, vorsorglich Dullard nennen werde. Am Stadtrand stand ein betagtes Motel. Es sah zwar ziemlich schäbig aus, aber da sich in seinem Vorgarten keine verkohlten Möbelstücke türmten, konnte ich davon ausgehen, dass es sich um eine nicht ganz so miese Absteige handelte, wie mein Dad sie gewählt hätte. Ich bog in die mit Kies bestreute Auffahrt und ging hinein. An der Rezeption saß eine Frau von etwa fünfundsiebzig Jahren. Sie trug eine schmetterlingsförmige Brille und eine Bienenkorbfrisur und war in eines dieser Bücher vertieft, in dem man aus Unmengen von Buchstaben Wörter zusammenstellen musste. Ich glaube, es hieß »Wörterpuzzle für Schwachköpfe«.
    »Ja, bitte?«, murmelte sie ohne aufzusehen.
    »Ich hätte gern ein Zimmer für die Nacht.«
    »Das macht achtunddreißig Dollar und fünfzig Cents«, antwortete sie gierig und ließ ihren Stift auf das Wort YUP fallen.
    Ich war verblüfft. Zu meiner Zeit kostete ein Motelzimmer so um die zwölf Dollar. »Ich will das Zimmer nicht kaufen «, erklärte ich. »Ich will nur eine Nacht darin schlafen.«
    Über den Rand ihrer Brille hinweg sah sie mich ernst an. »Das Zimmer kostet achtunddreißig Dollar und fünfzig Cents. Pro Nacht. Plus Steuern. Wollen Sie es, oder wollen Sie es
nicht?« Sie hatte einen unangenehmen Akzent und verlängerte jedes Wort um eine zusätzliche Silbe.
    Wir wussten beide, dass das nächste Motel meilenweit entfernt war. »Ich nehme es«, sagte ich zerknirscht, trug mich ins Gästebuch ein und stapfte über den Kiesweg zu meiner suite du nuit. Anscheinend war ich der einzige Gast. Ich betrat das Zimmer und sah mich um. Da stand ein Schwarzweißfernseher, der offensichtlich nur einen Kanal empfangen konnte, und an einer Stange hingen drei verbogene Kleiderbügel. Der Badezimmerspiegel hatte einen Sprung, und der Duschvorhang passte nicht. An der Toilettenbrille hatte man einen Papierstreifen mit der Aufschrift »Zu Ihrem Schutz desinfiziert« angebracht, doch im Becken darunter schwamm ein Zigarettenstummel in einer Nikotinlache. Dad hätte sich hier wohlgefühlt.
    Ich duschte – besser gesagt, ich ließ Wasser aus einer Düse in der Wand auf meinen Kopf tröpfeln – und verließ das Zimmer, um die Stadt zu erkunden. In einem Restaurant mit dem passenden Namen Chuck’s bestellte ich Knorpel und gebackene Klöße. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, irgendwo im Mittleren Westen vollkommen ungenießbares Essen vorgesetzt zu bekommen, doch Chuck belehrte mich eines Besseren. Es war das schlechteste Essen, das ich jemals zu mir genommen hatte, und das, obwohl ich in England lebte. Das Gericht wies alle Eigenschaften von Kaugummi auf, nur von Wohlgeschmack konnte keine Rede sein. Sogar jetzt noch, wenn ich rülpse, spüre ich es wieder auf der Zunge.
    Anschließend machte ich einen Bummel durch die Stadt. Es gab nicht viel zu sehen. Dullard bestand im Großen und Ganzen aus einer Straße mit einem Getreidesilo und Bahngleisen an ihrem einen und meinem Motel am anderen Ende. Dazwischen lagen ein paar Tankstellen und Lebensmittelläden. Jeder hier betrachtete mich mit äußerstem Interesse. Vor Jahren, in der Blüte meiner Jugend, als ich noch leicht zu beeindrucken war, hatte ich einmal eine beunruhigende Geschichte von Richard
Matheson gelesen. Sie handelte von einem abgelegenen Dorf, dessen Einwohner Jahr für Jahr darauf warteten, dass sich ein einsamer Fremder zu ihnen verirrte, den sie dann anlässlich ihres alljährlichen Barbecues rösten konnten. Die Leute hier musterten mich mit Barbecue-Augen.
    Mutig betrat ich eine finstere Spelunke namens Vern’s

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