Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika
herzhaften, natürlichen und naturidentischen Rindfleischfasern«) und Sniffa-Snax (»Der aufregende, neuartige Snack, den man durch die Nase zu sich nimmt!«) und Country Sunshine Honey-Toasted Wheat Nut ’n’ Sugar Bits Breakfast Cereal (»Jetzt mit vitaminreichem, schokoladenüberzogenem Rosinenersatz!«). Diese neuartigen Produkte faszinierten mich maßlos. Hersteller und Konsumenten amerikanischen Junkfoods haben vor einiger Zeit auf der Suche nach immer neuen Gaumenkitzeln gemeinsam die Grenze des guten Geschmacks überschritten. Nun erinnern sie ein wenig an verzweifelte Fixer, die bereits jede bekannte Droge ausprobiert haben und jetzt so tief gesunken sind, dass sie sich WC-Reiniger in die Adern spritzen, um ihren Rausch zu steigern. In ganz Amerika sieht man zahllose schwammige Gestalten, die die Regale der Supermärkte nach neuen Genüssen absuchen in der Hoffnung, auf ein bisher unerprobtes Produkt zu stoßen, das in ihren Mündern ein Prickeln erzeugen und ihre lädierten Geschmacksknospen erregen könnte, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
Der Konkurrenzkampf in dieser Branche ist gewaltig. Die Werbeprospekte für Nahrungsmittel lockten nicht nur mit Preisnachlässen von 50 Cents und dergleichen, die Hersteller honorierten die Rücksendung von zwei oder drei Etiketten ihres Markenzeichens zudem mit einem Hunk-o’-Meat-Badetuch, einem Country-Sunshine-Set, bestehend aus Schürze und Topflappen oder einer Sniffa-Snax-Heizplatte, die den Kaffee warm hält, während man auf Grund eines zu hohen Blutzuckerspiegels gelegentlich das Bewusstsein verliert. Interessanterweise unterschied sich diese Werbung kaum von der Werbung für Hundefutter, nur dass man hier im Allgemeinen auf den Zusatz von Schokoladenaroma verzichtete. Tatsächlich versprach jedes einzelne Produkt – vom WC-Reiniger mit Zitronenduft bis zur parfümierten Mülltüte – einen kurzen, berauschenden Glückszustand. Es ist also kein Wunder, dass man so viele Amerikaner trifft, die einen aus glasigen Augen anblicken. Sie sind ganz und gar mit Schadstoffen voll gepumpt.
Ich fuhr weiter über den Highway 218 in Richtung Süden nach Keokuk. Dieser Teil der Straße war auf meiner Karte als landschaftlich schöne Strecke gekennzeichnet – ein allerdings ziemlich relativer Begriff. Mit den landschaftlich schönen Strecken im Südosten Iowas ist es wie mit einem guten Barry-Manilow-Album: Man muss gewisse Abstriche machen. Verglichen mit einem Nachmittag in einem düsteren Zimmer, war die Fahrt recht nett. Aber verglichen mit, sagen wir, der Küstenstraße entlang der Halbinsel Sorrentine, wirkte diese Strecke doch eher ein wenig fade. Sie erschien mir weder reizvoller noch reizloser als die übrigen Straßen, über die ich an jenem Tag gefahren war. Keokuk ist eine Stadt am Mississippi River und befindet sich in einer breiten Biegung des Flusses, in der sich Iowa, Illinois und Missouri gegenüberliegen. Ich fuhr in Richtung Hannibal in Missouri und hoffte, auf dem Weg zur Brücke im Süden etwas von der Stadt sehen zu können. Doch ehe ich mich’s versah, befand
ich mich auf einer Brücke, die in Richtung Osten nach Illinois führte. Das brachte mich so aus der Fassung, dass ich nur einen flüchtigen Blick auf den Fluss warf. Kaum hatte ich den schmierig braun glänzenden Strom wahrgenommen, war ich auch schon in Illinois. Ich hatte mich wirklich darauf gefreut, den Mississippi wiederzusehen. Ihn zu überqueren, war für mich als Kind jedes Mal ein Abenteuer. Dad rief dann immer »Hier ist der Mississippi, Kinder«, und wir drängelten uns am Fenster und fanden uns fast in den Wolken wieder. Die Brücke war so hoch, dass uns der Atem stockte, und der silbrige Fluss tief, tief unter uns zog majestätisch und gelassen seiner Wege. Man konnte meilenweit sehen – in Iowa eine ganz neue Erfahrung. Man sah Frachtkähne, Inseln und kleine Städte an den Ufern. Es war ein wundervoller Anblick. Und plötzlich war man in Illinois, und das Land war wieder flach und voller Kornfelder. Schweren Herzens wurde einem klar, dass das Abenteuer zu Ende war. Das musste als optische Stimulation bis auf weiteres genügen. Nun galt es aufs Neue, Hunderte von Meilen öder Kornfelder hinter sich zu bringen, bevor auch nur ein Hauch von Vergnügen zu erwarten war.
Nun war ich also in Illinois, im platten, langweiligen, kornbestandenen Illinois. Eine kindliche Stimme in mir schrie: »Wann sind wir endlich da? Ich langweile mich. Lasst uns nach Hause fahren.
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