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Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika

Titel: Strassen der Erinnerung - Reisen durch das vergessene Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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von Tammy.
    Dem Farmer neben mir fehlten zwei Finger an der rechten Hand. Es ist eine kaum beachtete Tatsache, dass den meisten Farmern mindestens ein Körperteil fehlt. Als ich klein war, beunruhigte mich das sehr, und ich erklärte mir diesen Umstand lange Zeit mit den Gefahren, die ein Leben als Farmer mit sich bringt. Immerhin haben Farmer mit einer Menge gefährlicher Maschinen zu tun. Denkt man aber einmal genauer darüber nach, arbeiten viele Menschen mit gefährlichen Maschinen, und nur ein geringer Teil zieht sich dabei schwerwiegende Verletzungen zu. Im Mittleren Westen gibt es jedoch kaum einen Farmer über zwanzig, der nicht irgendwann einmal humpelte oder dem nicht früher oder später ein lärmendes landwirtschaftliches Gerät einen Finger abgerissen und ins Nachbarfeld geschleudert hat. Um die Wahrheit zu sagen – ich bin der festen Überzeugung, dass Farmer sich das absichtlich antun. Ich glaube, dass der Krach und die monotonen Bewegungen der riesigen Mähdrescher und Heubündelmaschinen mit ihren quietschenden Getrieben, schlackernden Keilriemen und komplizierten Mechanismen sie Tag für Tag ein wenig mehr hypnotisieren. Dann stehen sie da, starren auf die dröhnende Maschine und denken: »Ich will wissen, was passiert, wenn ich meinen Finger da reinstecke.« Ich weiß, es klingt verrückt. Aber man muss berücksichtigen, dass Farmer kein Gespür für diese Dinge haben, denn sie empfinden keinen Schmerz.
    Das stimmt tatsächlich. Tagtäglich stößt man im Des Moines Register auf einen Bericht über einen Farmer, der sich versehentlich einen Arm abgerissen hat und sich dann in aller Seelenruhe zu Fuß auf den Weg in die sechs Meilen entfernte Stadt macht, um ihn sich dort wieder annähen zu lassen. In den Berichten
steht dann: »Jones hielt seinen abgetrennten Arm umklammert und sagte zu dem Arzt: ›Doc, ich glaube, ich habe mir meinen verdammten Arm abgeschnitten.‹« Niemals heißt es: »Blutüberströmt sprang Jones zwanzig Minuten hysterisch umher, fiel in Ohnmacht und versuchte dann, in alle vier Himmelsrichtungen gleichzeitig zu rennen.« So würde schließlich jeder von uns reagieren. Farmer fühlen ganz einfach keinen Schmerz. Diese Stimme in unseren Köpfen, die uns leise warnt, etwas nicht zu tun, weil es verrückt ist, weil es wahnsinnige Schmerzen verursacht und uns dazu verdammt, uns für den Rest unseres Lebens das Essen auf dem Teller von jemand anderem klein schneiden zu lassen, diese Stimme spricht nicht zu ihnen. Mein Großvater war genauso. Wie oft hat er das Auto repariert, und der Wagenheber rutschte weg. Dann rief er uns zu Hilfe, ließ uns das Auto hochstemmen, während ihm die Luft ausging. Oder er fuhr sich mit dem Rasenmäher über die Füße. Oder er berührte ein Stromkabel und löste damit in ganz Winfield einen Kurzschluss aus, während er selbst mit Ohrensausen und leicht angeschmorten Fingern davonkam. Wie die meisten Menschen im ländlichen Mittleren Westen war er praktisch unverwüstlich. Es gibt nur drei Dinge, die für einen Farmer tödlich sind: vom Blitz getroffen zu werden, von einem Traktor überfahren zu werden und das hohe Alter. Bei meinem Großvater war es das Alter, das ihm zum Verhängnis wurde.

    Ich fuhr weiter in Richtung Süden zum vierzig Meilen entfernten Hannibal und wollte mir das Haus ansehen, in dem Mark Twain seine Kindheit verbracht hat. Das gepflegte, weißgetünchte Haus mit den grünen Fensterläden steht unpassenderweise mitten in Downtown. Ich bezahlte 2 Dollar Eintritt und war enttäuscht. Angeblich hatte man das Innere des Hauses originalgetreu rekonstruiert, doch in jedem Zimmer entdeckte ich Stromkabel und Wassersprinkler. Auch schien es mir unwahrscheinlich, dass das Zimmer des jungen Samuel Clemens
mit Kunststoff ausgelegt war (übrigens dasselbe Muster wie in der Küche meiner Mutter, wie ich interessiert feststellte) oder dass sich im Zimmer seiner Schwester eine Trennwand aus Sperrholz befunden haben soll. Genau genommen kann man das Haus gar nicht besichtigen; man besieht es sich durch die Fenster. An jedem Fenster informiert eine Stimme vom Band über das jeweilige Zimmer: »Dies ist die Küche. Hier hat Mrs. Clemens für die Familie gekocht.« – Als wäre man ein Vollidiot. Das Ganze war ziemlich dürftig. Befände sich das Haus im Besitz einer mittellosen literarischen Gesellschaft, die ihr Möglichstes für das Haus täte, wäre das sicher nicht so schlimm. Doch Eigentümerin ist die Stadt Hannibal, für die das Haus

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