Straub, Peter
glaube, und ich habe mich in eine Frau verliebt, die ich nur viermal in meinem Leben gesehen habe. An der linken Brustseite, direkt unterhalb der Rippen, verspüre ich einen Schmerz: Ich bin ein Seiltänzer, ein Spinner, ein Schwätzer. Ich rede. Sie strahlt mich an, ihre A u gen sind voll Licht.
»Ich weiß «, sagt sie. »Bei dir vergesse ich alle Vorsicht. Warum ist das so? «
Ich greife über den Tisch, nehme eine ihrer Hände und halte sie fest in meiner. Meine Worte prallen an der summenden Mauer um uns herum ab. Sie hat eine Hand über meine gelegt.
»Ich keuche «, sagt sie. »Ich muss von Sinnen sein. Las uns gehen. Nein, hier entlang. « Ihre Geste bedeutet, dass sie im Hotel wohnt. »So etwas ist mir noch nie passiert. Ich habe nie daran geglaubt. « Zu beiden Seiten von uns funkeln und fla c kern Lichter, sie bewegen sich wie Arme, Jacketts, Koffer und Türen.
»… und nun muß ich versuchen, Dir zu schreiben, um fes t zustellen, wie viel Vernunft noch inmitten dieser überwält i genden und wahnsinnigen Zärtlichkeit existiert, die in mir brodelt. Ich habe Angst, ich könnte alles zunichte machen, indem ich die falschen Worte gebrauche oder sie falsch betone und so polternd auf etwas komme, von dem ich nicht weiß, wie man es korrekt ausdrücken soll. Aber es ist wichtig für mich, es zu versuchen – und wenn wir uns nicht beide sehr irren, dann wird es nötig sein, es immer wieder zu versuchen. Du wirst einsehen – jedenfalls hoffe ich, dass Du es einsiehst –, die Plötzlichkeit dessen, was geschehen ist, ist mir beinahe unbegreiflich. Und ich bin, wie Du auch, mit einem Menschen verheiratet, den ich liebe und respektiere; ich muss wissen, wenn es möglich ist, dass wir meine Beziehung zu meinem Mann nicht zerstören werden. Ich habe Angst. Gleichzeitig aber fühle ich mich verzaubert, übernatürlich, als würde ein heiliger Kreis zu meinen Füßen mich beschützen.
Ich habe nie an Erzählungen anderer von überwältigenden emotionalen Erlebnissen und Erfahrungen geglaubt: Teenager erleben so etwas, mein Lieber, Deine Drüsen haben Deine Harmonie, Deine Stabilität zunichte gemacht. Wenn diese St ö rungen vorüber sind, wirst Du feststellen, dass Dein Leben in Wirklichkeit viel reicher ist. Und nun ist all diese Gewissheit dahin. Und ich bin so froh darüber! Mir ist, als könnte ich L ö wen bändigen oder die Erde versengen, wenn ich über sie d a hinschreite.
Heute habe ich eine kleine russische Ikone gekauft, die ich in dem Antiquitätenladen in der Molesworth Street gesehen habe und die mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn gegangen ist. Sie hatte ich an dem Tag betrachtet, als ich Dich zum e r sten Mal gesehen habe, und seither pulsiert etwas Schönes u n unterbrochen in meinem Verstand. Heute habe ich sie gekauft, und dabei habe ich an Dich gedacht. Der Besitzer des Ladens erinnerte sic h n och an mich – er ist ein reizender kleiner Jude, der in Bloomsbury mehr in seinem Element sein würde, in e i ner dunklen kleinen Höhle voller Schätze. Ich glaube, die Ik o ne war sein einziger Schatz. Sie ist rot und golden, aus Holz, und der Heiligenschein aus aufgehämmertem Blattgold. Meine Ikone ist ein recht barbarisches Ding, und ich fürchte, sie sieht in meinem gelben hotel moderne meines Zimmers im Eblana sehr fehl am Platze aus. I ch werde sie Dir am Freitag zeigen. Warum spricht uns die Kreuzabnahme immer so sehr an – der arme menschliche Körper, den Gott verlassen hat?
Mein Vater war Pfarrer in Devonshire: einer dieser großen, schulmeisterlich aussehenden Männer, die man im Britischen Museum herumwandern sehen kann, die in Komödien der Boulting Brothers parodiert werden. Bis zu seinem Tod, als ich neun Jahre alt war, hat er mich zu Hause gequält. Seine Familie versuchte, mich meiner Mutter wegzunehmen, die sie, nicht zu Unrecht, hassten . Aber diese Geschichte will ich mir für später aufheben. Ich möchte Dir etwas aus meinem Leben erzählen – es verlief so sehr in geregelten Bahnen. Alles schien friedlich; wir lebten in einem kleinen Ort namens Mortonhampshire, wo es für jede Verrichtung des Tages e i nen besonderen Zeitpunkt gab. Ich wusste , dass in meiner Welt etwas nicht stimmte, etwas, das mit meiner Mutter zu tun hatte, aber ich hatte zu große Angst, dieses schloss zu berühren, weil ich fürchtete , es könnte sich öffnen. (Meine Mutter war übrigens Amerikanerin, weshalb ich in der Sch u le stets › Yankee ‹ genannt wurde.) Schließlich öffnete sich das
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