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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Traum war der, den man erwarten konnte. Ich a r beitete zwei Tage wie benommen und musste immerzu an sie denken, während ich mich meiner pubertären Leidenschaft wegen verfl u chte.
    Zwei Wochen später ging ich nach einer Dinner-Party die Dawson Street hinab zu meinem Hotel, nachdem ich einige Handelsstatistiken in der National Library nachgeschlagen hatte; als ich das Royal Eblana Hotel erreichte, ging ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Treppe hinab zum Pub des Hotels. Sofort verschwand das graue irische Tageslicht; kleine Tischleuchten und die Pub-Atmosphäre ließen die Straße u n wirklich erscheinen, wie eine Szene aus einem Film. Die N a tional Library, die in einem Gebäude in der Kildare Street u n tergebracht war, hatte eine fast ähnliche Atmosphäre. Der L e sesaal war riesig und voller Schatten, winzige Lichtflecken über den Lesetischen. Zerzauste Jungen schritten vereinzelt durch das Halbdunkel, um Bücher von der Ausgabetheke zu den Tischen zu tragen. Als ich das Pub betrat, war es, als hätte ich in einem dunklen Zimmer eine Glühbirne eingeschaltet, um sie dann, mit dem grellen Licht unzufrieden, gleich wieder auszuschalten.
    Um fünf Uhr waren die meisten Pubs in Dublin verlassen; lediglich in Hotelpubs kann man Frauen finden, und das sind dann meistens englische oder amerikanische Touristinnen. Noch bevor ich die Tür geöffnet hatte, konnte ich ihre schri l len, murmelnden Unterhaltungen hören. Als ich drinnen war, nahm ich an einem der Tische im rückwärtigen Teil des winz i gen Raums Platz und wurde von ihrem Schnattern überflutet. Ein Barkeeper in grauem Jackett beugte sich über den Tisch und hielt eine Hand ans Ohr, um meine Bestellung aufzune h men. »Einen einfachen Powers «, sagte ich. Eine kräftige Frau i n b raunem Kleid und mit zuviel Lidschatten, die am Nebe n tisch saß, verkündete in einem Weststaatenakzent, dass ihr Name Ryan war. »Ryan, verdammt! Und versuchen Sie mal, etwas anderes zu beweisen! «
    Ein dicker Mann in einer Kordjacke und blauem Polohemd versuchte, sie zum Schweigen zu bringen. »Psst, Helen, psst, um Gottes willen! Helen, um Himmels willen, psss t ! « Seine plumpen weißen Hände fuchtelten in der Luft vor ihr. »Wenn du nicht die Klappe hältst, bringe ich dich auf dein Zimmer, Helen. « Der Barkeeper stand vorsichtig neben dem dicken Mann. »Schon gut, schon gut. Meine Frau möchte nur, dass ich sie mit ihrem Mädchennamen anrede, das ist alles. « Das Paar sah sich einen Augenblick böse an. »Mein Name ist Baum, ich glaube, der ist nicht gut genug für Wand «, flüsterte er dem stirnrunzelnden Barkeeper zu.
    »Gottverdammt, Baum «, sagte die Frau. »Gottverdammtes Eingeweideknurren. Nicht in Wand. Nein, Sir! «
    Ich schaute zur Bar, um die Aufmerksamkeit des Paars nicht auf mich zu lenken, und erblickte eine große blonde Frau, die die Bar durch die Hoteltür betrat. Sie sah mich sofort. Der Barkeeper ließ das Paar in Ruhe und entfernte sich, um meinen Whiskey zu holen. Wir sahen einander lächelnd an. Ich bin verliebt, dachte ich. Ich bin ein Narr. Wie durch ein Wunder standen der dicke Mann und Helen Ryan in diesem Augenblick auf und gingen, einander anknurrend, an ihr vo r bei.
    Sie setzte sich dorthin, wo der dicke Mann gesessen hatte, und drehte den Stuhl zu mir. Die Düsternis in dem Pub schien sich zu einer soliden Masse zu verfestigen, die alles jenseits unseres Tisches und der kleinen Lampe darauf einzuhüllen schien. »Zu schade, dass Sie die Ryans nicht kennen lernen konnten «, sagte ich. »Die hätten Ihnen gefallen. «
    Es ist eine Stunde später: wir starren uns gegenseitig unve r blümt ins Gesicht und sind atemlos vor Freude. Was mich fa s sungslos macht, ist die Tatsache, dass die Frau, welche den Idealbildern meiner Fantasie und den Frauen auf Magazinu m schlägen, vor denen ich immer stehen bleibe und sie betrachte, so sehr ähnelt, mir nun gegenüber sitzt, nur einen oder zwei Schritte entfernt, und das die Eleganz und Sinnlichkeit ihres Gesichts mit jedem Zentimeter Interesse, Sympathie, Zärtlic h keit und Humor ausdrückt und diese emotionelle Last in meine Richtung schiebt. Ich finde es erstaunlich, dass dies tatsächlich geschieht. Ihr elegantes Gesicht scheint sich unter dem Glück zu verziehen, das sie empfindet. Wir sind uns so ähnlich, de n ke ich. Nichts ist besser als das. Ich bin einunddreißig, ich bin ein durchschnittlich unglücklicher amerikanischer Geschäft s mann, ich denke, dass ich an nichts

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