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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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hatten, ich hätte Ähnlichkeit mit einem ihrer Vettern in Chicago. »Ah! « sagte er. »Woran kann das liegen? Es muss unsere irische Oberflächlichkeit sein zu glauben, dass Guinness die ganze Welt zu Brüdern macht. « Ich hatte ihn noch niemals so ausg e lassen erlebt.
    Nach dem Essen begaben wir uns ins Nebenzimmer, wo ich unseren Gast gesehen hatte, wie er die Stuckverzierungen mit dem Zeigefinger nachzeichnete, um einen Brandy zu trinken. Er schien der Meinung zu sein, nach meinen Geschichten bei Tisch würde ich mit den Anw es enden allein zurechtkommen, denn er kümmerte sich den restlichen Abend nur um den Pfe r denarren. Von Zeit zu Zeit drangen Bruchstücke ihrer Unte r haltung zu mir herüber: »Castor? Castor? Arthur, ich sage dir, Castor bekommt keinen Huf auf lehmigen Boden, ohne sich ein Bein zu brechen! … Nein, Dean Swift war das beste Pferd, das jemals von diesen Inseln kam …« Ich unterhielt mich mit der Frau, wir standen am Fenster, von dem aus man den Fitzwilliam Square sehen konnte.
    Ihre Ansichten hatten eine Klarheit, die mich vom ersten Augenblick an fesselte. Erst viel später erfuhr ich, dass diese Klarheit wie eine Hängebrücke über einen gähnenden A b grund von Zweifeln und Unsicherheit erbaut war – oder wie sie sich wiedererwecken konnte, wenn das Elend schließlich übermächtig zu werden drohte, und sie zu einer entschlossenen Tat leiten konnte, die einen ganzen Monat der Unentschlo s senheit auslöschte. Damals, am Anfang, wusste ich nur, dass sie intelligent und liebenswürdig war, die erste Frau seit Ja h ren, die mich dazu brachte, mit dem Gedanken zu spielen, meiner Frau untreu zu werden. Noch etwas wusste ich, wusste es durch die Sinneswahrnehmungen, welche unsere Selbstei n schätzung anhand der Reaktionen anderer beeinflussen: Dies war eine › gute ‹ Nacht; ich gefiel ihr. Sie willigte ein, sich a n derntags zum Essen mit mir zu treffen.
    Wir trafen uns in dem Restaurant, das ich auf der Stelle g e nannt habe, und verbrachten eine Stunde damit, behutsam an unseren Schutzwällen zu kratzen. Aber das Gespräch hatte etwas Unentschlossenes, unsere Unterhaltung schien sinnlos zu sein, trotz ihrer raschen Abhandlungen über den Charakter unseres Gastgebers, englische Malerei und die Probleme, die es mit sich brachte, in Paris zu leben – eine Konversation, die sich ständig am Rand eines wichtigen, unausgesprochenen Themas zu bewegen schien. Als wir gingen, da dacht e i ch, es wäre vorbei, aber ich hätte nicht sagen können, was › es ‹ war. Ich hatte mich wieder zu Banalitäten über unser kennen lernen herabgelassen, aber die Atmosphäre in dem orangenen Resta u rant schien sich um mein Versagen herum zusammenzuballen. Mit einem Gefühl von Bedauern, aber auch Erleichterung, sah ich sie die Straße hinabgehen.
    Dann warf uns die Stadt erneut zusammen, als wäre sie der Meinung, wir hätten ihr Geschenk des Zufalls nicht hinre i chend gewürdigt. An einem regnerischen Nachmittag stand ich unter der Markise eines Geschäfts und hatte eben beschlossen, für heute mit der Arbeit aufzuhören und etwas trinken zu g e hen, als sie die Straße entlang auf mich zugelaufen kam. Als sie mich sah, blieb sie unter dem Baldachin stehen. »Gehen wir etwas trinken «, sagte sie. »Überlassen wir den Einheim i schen das Wetter. « Wir parkten die Autos Stoßstange an Sto ß stange in der O ’ Connell Street und gingen in ein Pub.
    »Tut mir leid, dass ich bei unserem letzten Zusammentre f fen so langweilig war «, sagte ich. »Ich konnte noch Tage hi n terher das Sägemehl aus meinem Mund rieseln spüren. «
    »Mir erging es ebenso. « Sie bedachte mich mit einem frö h lichen Lächeln. »Ich sollte es vielleicht nicht sagen, aber ich muss gestehen, dass ich enttäuscht war. Ich fand, Sie waren brillant, als Sie über Dublin sprachen, daher sprach ich soviel über Constable! « Wir waren Freunde. Als wir das Pub ve r ließen, lud ich sie zum Abendessen ein, aber sie sagte, sie müsste noch einen Freund ihres Mannes treffen, winkte mir zum Abschied zu und verschwand dann in der Menge der Mützen und Tweedmäntel auf der Straße. Als sie fort war, wurde mir klar, dass ich immer noch nicht wusste , wo sie wohnte. In dieser Nacht träumte ich zweimal von ihr; ich half ihr auf ein Pferd, während Morgan die Zügel hielt und sich auf die Lippen bi s s .
    Dann standen wir gemeinsam auf einem Hügel und sahen Morgan, die mit halsbrecherischer Geschwindigkeit hinabritt. Der andere

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