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Straub, Peter

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Titel: Straub, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fremde Frau
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Antworten auf meine Frage zu verdrängen, daher rollten wir dreißig Min u ten im rotgoldenen Licht weiter, bevor die Frau etwas sagte.
    »Wir sind fast da «, sagte sie schließlich. »Nur noch ein paar Kilometer bis Aix. Es war eine kurze Fahrt. «
    Ich konnte hören, wie sich Magruder auf dem Rücksitz b e wegte. Es klang, als würde er seine Kleidung anziehen, wobei er schwer atmete. Ich drehte mich um, um nachzusehen, was er trieb.
    »Mann, ich bin auch müde «, sagte er. Er hatte die Arme u n ter dem Hemd und der weißen Felljacke und bewegte sie auf und ab. Sein Gesicht war verzerrt, der winzige Schnurrbart stand von den Lippen ab. Er kratzte sich. Er hob ein fleckiges blaues Hosenbein, fuhr mit dem Arm darunter und setzte seine Tätigkeit dort fort.
    »Abel ist nervös «, sagte die Frau. »Warum bist du so ne r vös, Abel? «
    »Vielleicht bin ich das «, antwortete er. »Aber es juckt mich auch höllisch. Ich glaube, in dem gottverdammten Bett ist e t was gewesen. Ich habe es etwa seit einer Stu nd e. Ich hätte im Freien schlafen sollen. In Parks gibt es keine Wanzen. «
    »Wanzen! «
    »Vielleicht «, sagte er. »Keine Ahnung. Bis vor einer Stunde habe ich so etwas noch nie gespürt. «
    »Wahrscheinlich keine Wanzen «, sagte ich. »Fängt das nicht sofort an zu jucken? «
    »Ich glaube, wir sind fast in Aix «, sagte die Frau.
    »Beten Sie um Erleichterung «, sagte ich. »Um ein Wunder. «
    Die Frau wandte sich mit einem Blick grenzenloser Verac h tung zu mir. »Owen, das ist äußerst geschmacklos. Warum musst du Abels Überzeugungen ins Lächerliche ziehen? Wie ungehobelt! « Sie drehte den Kopf wieder weg, nachdem sie mir einen langen Tigerblick zugeworfen hatte.
    Ich war wie vom Schlag getroffen. »Beruhige dich «, sagte ich. »Es war nur ein alberner Scherz! Warum regst du dich so auf? « Während ich das sagte, konnte ich spüren, wie meine gute Laune einer Depression wich. Das Band der Gefühle zw i schen uns schien sich gelockert zu haben, wie in einer enttä u schenden Ehe, und wir fauchten uns an wie zwei Menschen, die bereits jahrelang verheiratet sind.
    »Ich bin ruhig «, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen Unterton kalter, blinder Wut unter der wohlklingenden Oberfläche. »Und geh mir nicht mit Fragen auf die Nerven! «
    Ich drehte mich etwas herum, um festzustellen, wie Magr u der unsere Unterhaltung aufnahm. Ich hatte erwartet, dass er sich zu mir vorbeugen und beschwichtigend sagen würde, dass es einerlei war, dass ich seine Gefühle nicht verletzt hatte. Mir erschien es so unwahrscheinlich, dass ich das könnte. Als ich mich zu ihm umdrehte, war er nach vorn gebeugt und hatte die Händ e u nter den Schenkeln, und er betrachtete den Boden des Autos als wäre er bei einem schweren Verbrechen ertappt worden.
    Er sah zwischen Haarsträhnen zu mir auf. »Die Dame scheint erbost zu sein «, sagte er.
    Dann erlosch der unerwartete Ausbruch. Ich konnte sehen, wie sie sich entspannte, die Kiefermuskulatur wurde schlaff, die Finger klammerten sich nicht mehr so fest um das Len k rad. Magruder spekulierte, wie weit wir von Aix entfernt sein mochten, und eine niedergeschlagene, stockende Unterhaltung folgte; aber es blieb eine Spur Bitterkeit in der Atmosphäre, wie die nachhaltigen Überreste eines bösen Rauchs.
     
    »Was hast du gemacht? Mit Magruder? «
    »Ich bin mit ihm ins Bett gegangen. «
    »Aber warum? Und warum erzählst du es mir? «
    »Es ist einfach geschehen. « Sie machte den Mund zu und setzte sich auf den Bettrand. Sie kickte die Schuhe fort. »Kannst du mir den Reißverschluss aufmachen? Ich möchte ein Bad nehmen. «
    »Aber das ist unsinnig! «
    »Ich frage nicht, ob es unsinnig ist oder nicht, ich sage dir nur, dass ich es getan habe. Nachdem du weggegangen warst, haben wir uns eine Weile unterhalten, und er war irgendwie so pathetisch, und gleichzeitig fesselnd – er schien so viele Dinge tun zu können, und nun wollte er sich in einem Kloster ve r geuden. Machst du mir das Kleid auf? «
    Ich beugte mich hinab und öffnete den Reißverschluss .
    »Es war eine Art Experiment. Er hatte keine Ahnung, was vor sich ging, bis er mich auf sein Zimmer einlud. Was er tat, hat er nur getan, weil ich es wollte. «
    Mir war zumute, als hätte sie mir in den Magen getreten. Den Rest der Fahrt bis Aix hatten wir drei wenig mi te inander gesprochen, die unterschwellige Spannung war geblieben. In der Stadt hatte die Frau an der Hauptverkehrsstraße gehalten, neben dem Springbrunnen.

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