Streiflichter aus Amerika
Wenn mir ein Arzt je vollkommene Ruhe und ein Minimum an Aufregung verordnet, werde ich sofort Cricketfan. Bis dahin, das verstehen Sie hoffentlich, gehört mein Herz dem Baseball.
Damit bin ich aufgewachsen, ich habe es als Junge gespielt, und das ist natürlich lebenswichtig, wenn man einen Sport auch nur annähernd liebenlernen will. So richtig begriffen habe ich das, als ich in England mit ein paar Jungs auf den Fußballplatz ging, um ein bißchen rumzubolzen.
Ich hatte im Fernsehen schon Fußball gesehen und dachte, ich sei einigermaßen im Bilde, was man dabei tun muß. Als also der Ball mit einer hohen Flanke in meine Richtung geschlagen wurde, wollte ich ihn lässig mit Kopfstoß ins Netz lupfen, so wie ich es bei Kevin Keegan gesehen hatte. Ich dachte, es wäre wie Beachballköpfen – ich höre, wie es ganz leise »bong« macht, der Ball löst sich elegant von meiner Braue und segelt in einem wunderschönen Bogen ins Tor. Aber natürlich war es, als hätte ich eine Bowlingkugel geköpft. Ich hatte noch nie erlebt, daß sich etwas so gräßlich anders anfühlte, als ich erwartet hatte. Noch Stunden danach schwankte ich, einen roten Kreis und das Wort »adidas« auf die Stirn gedruckt, auf wackligen Beinen durch die Gegend und schwor mir, etwas so Dämliches und Schmerzhaftes nie wieder zu tun.
Ich bringe es nur deshalb hier zur Sprache, weil die World Series gerade begonnen hat und ich Ihnen erzählen will, warum ich so aufgeregt bin. Die World Series ist der jährliche Baseballwettbewerb zwischen dem Meister der American League und dem Meister der National League.
Das heißt, so ganz stimmt das nicht mehr; das Reglement ist vor einigen Jahren geändert worden. Bei dem alten bestand das Problem darin, daß nur zwei Mannschaften teilnahmen. Und man muß ja keine höhere Mathematik können, um sich auszurechnen, daß eine Menge mehr Geld aus der Angelegenheit herauszuschlagen ist, wenn man es so deichselt, daß mehr Teams mitmachen.
Also teilte sich jede Liga in drei Gruppen – die West-, Ost- und Zentralliga – mit vier oder fünf Teams, und in der World Series konkurrieren nun nicht mehr die beiden besten Mannschaften – jedenfalls nicht notwendigerweise –, sondern die Gewinner einer Reihe Playoffspiele zwischen den Gruppensiegern der drei Gruppen in den beiden Ligen – plus (und das war besonders genial, finde ich) einigen »Wild card«-Teams, die überhaupt nichts gewonnen haben.
Es ist alles höchst kompliziert, bedeutet aber im wesentlichen, daß jedes Baseballteam außer den Chicago Cubs die Chance hat, bei der World Series mitzumischen.
Die Chicago Cubs schaffen es nicht, weil sie sich nie qualifizieren – nicht einmal bei diesem großzügigen, teilnehmerfreundlichen System. Oft sieht es so aus, als könnten sie es noch hinkriegen, und manchmal stehen sie auch auf einem so überragenden Tabellenplatz, daß nach menschlichem Ermessen nichts mehr schiefgehen kann. Aber zum Schluß schaffen sie es doch immer wieder beharrlich – es
nicht zu schaffen. Einerlei, was sie dazu anstellen müssen – siebzehn Spiele hintereinander verlieren, leichte Bälle durch die Beine flutschen lassen, im Outfield ganz komisch ineinanderzukrachen –, die Cubs kriegen es hin. Wär doch gelacht.
Und zwar seit mehr als einem halben Jahrhundert zuverlässig und effizient. Ich glaube, sie sind im Jahr 1938 zum letztenmal bei einer World Series dabeigewesen. So lange ist es nicht einmal her, daß Mussolini gute Zeiten hatte. Und weil dieses herzzerreißende Versagen der Cubs beinahe das einzige ist, das sich während meiner Lebenszeit nicht geändert hat, sind sie mir lieb und teuer.
Baseballfan zu sein ist nicht leicht, denn Baseballfans sind ein hoffnungslos sentimentaler Haufen. Dabei sind in einem so wahnsinnig lukrativen Gewerbe wie einer US-amerikanischen Sportart Gefühle völlig unangebracht. Weil ich hier gar keinen Platz habe, um zu erläutern, wie sie sich an meinem geliebtem Spiel während der letzten vierzig Jahre versündigt haben, erzähle ich Ihnen nur das Schlimmste: Sie haben fast alle tollen alten Stadien abgerissen und an ihrer Stelle große nichtssagende Mehrzweckhallen gebaut.
Früher hatte einmal jede große Stadt in den Vereinigten Staaten ein altehrwürdiges Baseballstadion. Meist waren sie feucht und knarzig, aber sie hatten Charakter. An den Sitzen holte man sich Splitter, wegen des vielen, über die Jahre in der Erregung ausgespuckten Glitschzeugs klebte man mit den Schuhsohlen am
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