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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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die Glotze konzentrieren. Lag wahrscheinlich an meiner horizontalen Position. Die Flasche war leer.
    Der Held schwang mir seine Feueraxt in den Kopf, und ich saß kerzengerade im Sessel. Im Fernsehen war nur noch Schnee. Mit verschwommenen Augen versuchte ich, die Uhr zu lesen: 4.15 Uhr. Unter meinem Brustbein fühlte ich glühendes Feuer. Meine Nerven lagen bloß, ich stand auf und schaffte es gerade noch ins Badezimmer, bevor der Glenlivet hochkam. Ich übergab mich und legte mich auf die kühlen Fliesen; das Zimmer roch nach Scotch und Angst und Tod. Jetzt hatte ich mich innerhalb von drei Nächten zweimal erbrochen. Vielleicht bekam ich ja Bulimie.
    Ich rappelte mich auf und putzte mir ungefähr eine halbe Stunde lang die Zähne. Dann ging ich zur Dusche rüber und stellte sie an. Ich ließ sie warmlaufen, zog meine Sachen aus und stellte mich drunter. Als ich fertig war, dämmerte es schon. Drei Tylenol, dann fiel ich mit der Hoffnung aufs Bett, daß ich all die Dinge mit hochgewürgt hatte, die mir Angst vorm Schlafen einjagten.
    Die nächsten drei Stunden döste ich immer wieder ein, und Gott sei Dank erhielt ich keinen Besuch. Nicht von Jenna, nicht vom Helden und auch nicht von Curtis Moores Fuß.
    Manchmal bekommt man eine Auszeit.
    »Ich hasse das«, fluchte Angie. »Ich… hasse… das.« »Du siehst auch wirklich scheiße aus«, erwiderte ich. Sie warf mir ihren berüchtigten Blick zu und zerrte auf dem Rücksitz des Taxis am Saum ihres Rocks.
    Angie trägt ungefähr so oft Röcke, wie sie kocht, aber sie enttäuscht mich nie. Was ihr Gemecker angeht, glaube ich nicht, daß es so schlimm ist, wie sie immer tut. Sie hat sich so viele Gedanken darüber gemacht, was sie anziehen soll, daß das Ergebnis einfach überwältigend war. Sie trug eine brombeerfarbene Wickelbluse aus Crepe de Chine zu einem schwarzen Wildlederrock. Das lange Haar hatte sie sich aus der Stirn gekämmt und links hinters Ohr geklemmt, während es auf der rechten Seite lose herunterfiel und sanft das Auge überschattete. Als sie mich mit einem Aufschlag ihrer langen Wimpern ansah, tat es weh. Der Rock saß wie angegossen, doch sie wand sich auf dem Rücksitz des Taxis, zog und zupfte am Saum herum. Insgesamt war der Anblick äußerst angenehm.
    Ich trug einen dunkelgrauen Doppelreiher mit Fischgrätmuster. Das Jackett saß eng auf der Hüfte, ein Mann von Welt, doch Modedesigner meinen es mit den Männern im allgemeinen besser, ich mußte es nur aufknöpfen.
    Ich bemerkte: »Gut siehst du aus.«
»Ich weiß, daß ich gut aussehe«, erwiderte sie mit finsterem Blick. »Ich möchte gern den Typen finden, der diesen Rock entworfen hat, weil ich genau weiß, daß es ein Mann war, und der kann sich dann reinzwängen. Wie schnell der anfangen würde zu winseln!«
Das Taxi ließ uns an der Ecke gegenüber der Trinity Church rausspringen.
»Willkommen im Copley Plaza Hotel«, grüßte uns der Portier und öffnete die Tür. Wir traten ein. Das Copley ähnelt ein bißchen dem Ritz: Beide gab es schon lange bevor ich auf die Welt kam, und beide werden noch dasein, wenn ich schon längst gestorben bin. Und wenn die Angestellten des Copley nicht ganz so entschlossen wirken wie die im Ritz, so liegt das wahrscheinlich daran, daß sie weniger Grund dazu haben. Das Copley versucht noch immer, sein Image als das meistverkannte Hotel der Stadt abzuschütteln. Die jüngste, mehrere Millionen Dollar teure neue Einrichtung wird es schwer haben, die ehemals dunklen Flure und die gesetzte bis scheintote Atmosphäre aus den Köpfen der Menschen zu verbannen. Man hatte mit der Bar begonnen, und da war gute Arbeit geleistet worden. An Stelle von George Reeves und Bogey erwartete ich, Burt Lancaster als J.J. Hunsecker mit einem herausgeputzten Tony Curtis zu seinen Füßen an einem Tisch hofhalten zu sehen. Das sagte ich Angie, als wir eintraten.
Sie fragte: »Burt Lancaster als wer?«
Ich antwortete: »Dein Schicksal in meiner Hand.«
»Was?« fragte sie erneut.
»Ignorant!« gab ich zurück.
Diesmal erhob sich Jim Vurnan nicht zur Begrüßung. Er saß mit Sterling Mulkern im Dunkel der Eichenmöbel, ihr Blick auf die Banalitäten der Außenwelt war durch dunkelbraune Paneele abgeschirmt, durch die hindurch man Teile des Westin Hotels erkennen konnte, aber das merkte man nur, wenn man danach Ausschau hielt. Was meiner Meinung nach schon in Ordnung ist - das einzige Hotel in dieser Stadt, das häßlicher ist als das Westin, ist das Lafayette, ein schlimmeres

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