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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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neben dem Bürgersteig vor der Kirche und ging zum Seiteneingang, wobei ich mir der Tatsache schmerzhaft bewußt war, daß sich meine Pistole zur Beweisaufnahme auf dem Polizeirevier befand. Auf dem Boden lag ein Zettel: »Nicht schießen! Zwei Schwarze an einem Tag sind nicht gut für deinen Ruf.«
    Richie.
Als ich eintrat, saß er hinter meinem Schreibtisch. Die Füße hatte er auf den Tisch gelegt, in meinem Ghettoblaster lief eine Kassette von Peter Gabriel, auf dem Tisch stand eine Flasche Glenlivet, und in der Hand hielt er ein Glas. Ich fragte: »Ist das meine Flasche?«
Er sah sie an. »Ich glaube schon, mein Sohn.«
»Dann bedien dich!«
»Danke«, erwiderte er und goß sich noch einen ein. »Du brauchst Eis.«
Ich fand ein Glas in der Schublade und schenkte mir einen doppelten ein. Dann hielt ich die Zeitung hoch. »Gesehen?«
»Das Schmutzblatt lese ich nicht«, antwortete er. »Ja. Hab’ ich gesehen.«
Richie ist keiner von diesen Hollywood-Schwarzen mit weicher, kaffeebrauner Haut und Augen wie Lionel Richie. Er ist schwarz, schwarz wie ein Ölteppich, und nicht gerade hübsch. Er hat Übergewicht, auf seinem Gesicht liegt immer ein Schatten, und seine Frau kauft für ihn die Klamotten. Oft sehen die Kombinationen aus, als würde sie wieder mal experimentieren. Heute trug er eine beigefarbene Baumwollhose, ein hellblaues Hemd und eine pastellfarbene Krawatte, die aussah, als sei ein Mohnblumenfeld explodiert und das Feuer mit Rum gelöscht worden. Ich fragte: »War Sherilynn wieder einkaufen?«
Er warf einen Blick auf seine Krawatte und seufzte: »Sherilynn war wieder einkaufen.«
Ich fragte: »Wo? In Miami?«
Er hob die Krawatte hoch, um sie genauer zu inspizieren. »Könnte man meinen, oder?« Dann nahm er einen Schluck Scotch. »Wo ist deine Kollegin?«
»Bei ihrem Mann.«
Er nickte, und gleichzeitig fügten wir hinzu: »Dem Arschloch.«
»Wann knallt sie ihn endlich ab?« fragte er.
»Ich drücke ständig die Daumen.«
»Na ja, ruf mich an, wenn’s soweit ist. Bei mir zu Hause wartet noch eine Flasche Champagner.«
»Bis dann also.« Ich hob mein Glas. Er stieß an. »Prost.« Ich begann: »Erzähl mir von Curtis Moore.«
»Vom Krüppel?« fragte er. »So wird der alte Curtis im Moment genannt. Treibt einem die Tränen in die Augen, nicht?« Er streckte sich auf seinem Stuhl.
»Tragisch«, bemerkte ich.
»Furchtbar«, erwiderte er. »Aber nimm es nicht zu leicht. Curtis’ Freunde könnten dir einen Besuch abstatten, und das sind besonders fiese Arschlöcher.«
»Wie groß sind die Raven Saints?«
»Verglichen mit L.A. nicht sehr groß«, antwortete er, »aber wir sind nicht in L.A. Ich würde sagen, sie haben um die fünfundsiebzig feste Mitglieder und ungefähr sechzig Mitläufer.«
»Das heißt also, ich muß mich vor hundertfünfunddreißig Schwarzen in acht nehmen.«
Er stellte sein Glas auf den Tisch. »Mach daraus jetzt keine Schwarzensache, Kenzie.«
»Meine Freunde nennen mich Patrick.«
»Ich bin nicht dein Freund, wenn ich so einen Dünnschiß aus deinem Mund höre.«
Ich war wütend und verdammt müde, und ich wollte jemandem die Schuld geben. Meine Nerven lagen blank. Ich war störrisch. »Nenn mir mal eine weiße Gang, die mit Uzis rumläuft, dann habe ich auch vor Weißen Angst, Richie. Aber bis dahin…«
Richie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und was ist dann die Mafia, verdammt noch mal? Ha?« Er stand auf, die Adern an seinem Hals schwollen an, hoben sich wahrscheinlich genauso deutlich ab wie meine. »Die Westies in New York«, fuhr er fort, »diese netten Jungs, Iren wie du, die sich auf Mord, Folter und Cowboyspiele spezialisiert haben. Welche Hautfarbe haben die? Willst du hier sitzen und mir erzählen, meine Brüder hätten das Morden erfunden? Willst du versuchen, mir diesen Scheiß zu verkaufen, Kenzie?«
Unsere Stimmen in dem kleinen Raum waren laut und schroff, sie prallten an den billigen Wänden ab und wurden zurückgeworfen. Ich bemühte mich, ruhig zu sprechen, doch gehorchte mir meine Stimme nicht; sie klang barsch und irgendwie fremd. Ich erwiderte: »Richie, da wird in Howard Beach ein kleiner Junge von einem Auto überfahren, weil ihn eine Horde geistig zurückgebliebener Hitlerjungen auf die Straße jagt…«
»Fang bloß nicht mit Howard Beach an.«
»… und das wird zu einer nationalen Tragödie ausgewalzt. Ist ja auch richtig. Aber«, fuhr ich fort, »wenn in Fenway ein weißes Kind mit achtzehn Stichen von schwarzen Kindern erstochen wird, dann

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