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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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sie so abgefuckt sind, also suchen sie einen, dem sie die Schuld geben können. Neger, Juden, Weiße, Chinesen, Araber, Russen, Abtreibungsbefürworter, Abtreibungsgegner - wen du willst.«
Ich sagte nichts. Mit der Wahrheit ist schlecht streiten.
Er setzte die Füße auf den Boden und erhob sich, ging auf und ab. Seine Schritte waren etwas unsicher, als erwarte er einen Widerstand. »Die Weißen geben Leuten wie mir die Schuld, weil sie glauben, ich bin nur über die Quote auf meinen Platz gekommen. Die meisten davon können noch nicht mal lesen, glauben aber, daß sie meinen Job verdienen. Die Scheißpolitiker sitzen in ihren Ledersesseln mit Blick auf den Charles und arbeiten daran, ihre scheißdumme weiße Wählerschaft zu überzeugen, ich sei der Grund für ihre Wut, weil ich ihren Kindern das Essen stehle. Schwarze, meine Brüder, behaupten, ich bin keiner von ihnen mehr, weil ich auf einer weißen Straße in einer ziemlich weißen Gegend wohne. Sie behaupten, ich würde mich in den Mittelstand schleichen. Schleichen. Nach dem Motto, ich bin schwarz, ich muß mit Leuten, die ihre Sozialhilfe in Crack umsetzen, in so einem Loch auf der Humboldt Avenue wohnen. Schleichen«, wiederholte er. »Verdammte Scheiße. Heteros hassen Homos, und jetzt wollen die Homos zurückschlagen, was auch immer sie damit meinen. Lesben hassen Männer, Männer hassen Frauen, Schwarze hassen Weiße, Weiße hassen Schwarze, und… jeder sucht einen, dem er die Schuld geben kann. Ich meine, verflucht noch mal, warum soll man sich selbst im Spiegel angucken, wenn man von vornherein genau weiß, daß man viel besser ist als die ganzen Leute da draußen.« Er blickte mich an. »Verstehst du, was ich meine, oder rede ich Stuß?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Aus irgendeinem Grund braucht jeder einen zum Hassen.«
»Wir sind alle ganz schön bekloppt«, bemerkte er.
Ich nickte. »Und ganz schön verbittert.«
Er setzte sich wieder. »Verdammt verbittert.«
Ich fragte: »Und wo führt uns das hin, Rich?«
Er hob sein Glas: »Daß wir am Ende wieder hier sitzen und in unseren Scotch heulen.«
Eine Weile war es still im Zimmer. Wir gössen uns schweigend noch ein Glas ein und tranken etwas langsamer. Nach fünf Minuten erkundigte sich Richie: »Was ist mit dem, was heute passiert ist? Wie geht es dir?«
Das fragten mich alle. Ich antwortete: »Mir geht’s gut.«
»Wirklich?«
»Ja«, wiederholte ich, »denke schon.« Ich blickte ihn an und wünschte, daß er sie kennengelernt hätte. Ich fing an: »Jenna war nett. Ein guter Mensch. Sie wollte bloß einmal im Leben nicht unter den Teppich gekehrt werden.«
Er sah mich an, beugte sich vor und streckte mir das Glas entgegen. »Du willst dafür sorgen, daß jemand für sie zahlt, Patrick, stimmt’s?«
Ich beugte mich ebenfalls vor und stieß mit ihm an. Dann nickte ich. »Da hast du ins Schwarze getroffen«, erwiderte ich und hielt die Hand hoch. »War nicht so gemeint.«

15_____
    Richie ging kurz nach Mitternacht, und ich lief mit der Flasche in der Hand über die Straße zu meiner Wohnung. Dort ignorierte ich das rot blinkende Licht auf meinem Anrufbeantworter und machte den Fernseher an. Ich ließ mich in den Ledersessel fallen, trank aus der Flasche, guckte Letterman und versuchte, nicht jedesmal Jennas Todestanz zu sehen, wenn mir die Augenlider zufielen. Normalerweise gebe ich mir nicht mit so harten Sachen die Kante, aber heute mußte der Glenlivet dran glauben. Ich wollte einfach einschlafen und nicht träumen.
    Richie hatte gesagt, den Namen Socia hätte er schon mal gehört, wußte aber nicht genau, in welchem Zusammenhang. Ich ging durch, was ich wußte. Curtis Moore war ein Mitglied der Raven Saints. Er hatte Jenna umgebracht, wahrscheinlich auf Befehl von oben, und dabei handelte es sich wohl um Socia. Socia war Jennas Mann oder war es zumindest gewesen. Socia kannte Senator Brian Paulson gut genug, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Paulson hatte bei unserem ersten Gespräch mit der Hand auf den Tisch gehauen. »Das ist kein Witz«, hatte er gesagt. Kein Witz. Jenna war tot. Gut hundert Straßenkrieger ohne Angst vor dem Tod hatten es auf mich abgesehen. Kein Witz. Morgen mittag sollte ich Mulkern und seine Leute treffen. Ich war betrunken. Vielleicht lag es an mir, aber Letterman wirkte langsam verbraucht. Jenna war tot. Curtis Moore fehlte ein Fuß. Ich war betrunken. Ein Geist in einer Feuerwehruniform lauerte im Dunkeln hinter dem Fernseher. Ich konnte mich nicht mehr auf

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