Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
äußerst rigide sind. Für den Fall, daß wir zusammen in etwas verwickelt würden, brauchte auch Angie eine. Daher rief ich Bubba Rogowski an und bestellte bei ihm zwei jungfräuliche Teile. Er meinte, kein Problem, bis fünf Uhr hätte ich sie. Als würde man sich eine Pizza bestellen.
Als nächstes rief ich Devin Amronklin an. Er gehört jetzt zur neuen Streetgang-Einsatztruppe des Bürgermeisters. Devin ist klein und kräftig; Menschen, die ihm weh tun, erregen seinen Zorn. Er besitzt so lange Narben, daß sie glatt als Straßenmarkierung durchgehen würden, aber man kann es ziemlich gut mit ihm aushalten, wenn man sich nicht gerade mit ihm auf einer Cocktailparty in Beacon Hill befindet.
Er sagte: »Würd’ gerne noch reden, bin aber furchtbar in Eile. Wir sehen uns morgen bei der Beerdigung. Für Curtis den Krüppel hast du ein paar Punkte gut, egal, was dieses Arsch Ferry dir erzählt hat.«
Ich legte auf, und durch meine Brust ging eine kleine warme Welle, wie wenn man an einem kalten Abend starken Schnaps trinkt und das Bittere noch nicht schmeckt. In der Nähe von Bubba und Devin fühlte ich mich sicherer als ein Kondom auf einem Eunuchenkongreß. Doch dann machte ich mir, wie so oft, klar: Wenn dich jemand umbringen will, wirklich töten will, dann kann dich nur noch eine Laune des Schicksals retten. Kein Gott, keine Armee und auf keinen Fall du selbst. Ich mußte darauf hoffen, daß meine Feinde dumm waren, zum falschen Zeitpunkt kamen oder ein äußerst schlechtes Konzentrationsvermögen hatten, wenn der Zeitpunkt der Abrechnung kam. Die einzigen Dinge, die mich vor dem Grab bewahren konnten.
Ich sah Angie an: »Was ist los, Süße?«
Sie fragte: »Hm?«
»Ich habe gefragt: Was ist los, Süße?«
Der Bleistift machte klack, klack, klack. Sie kreuzte die Beine auf der Fensterbank und drehte den Schreibtischstuhl ein Stück in meine Richtung. »Hey«, begann sie.
»Was?«
»Hör auf damit, okay?«
»Womit?«
Sie wandte sich um und sah mir in die Augen. »Mit diesem ›Hey, Süße‹. Hör auf damit! Jetzt sofort.«
Ich erwiderte: »Ach komm, Mutti…«
Jetzt drehte sie den Stuhl ganz herum, so daß sie mir gegenübersaß. »Und mit dem Scheiß hörst du auch auf. Mit diesem ›Ach komm, Mutti…‹, als ob du überhaupt nichts getan hättest. Du hast was getan.« Sie sah einen Moment aus dem Fenster und blickte mich dann wieder an. »Du kannst manchmal ein ganz schönes Arschloch sein, Patrick. Weißt du das?«
Ich stellte mein Bier auf die Ecke des Schreibtisches. »Was ist jetzt schon wieder los?«
»Nichts Besonderes«, antwortete sie. »Klar? Es ist nicht gerade einfach… es ist nicht… Jeden Tag komme ich hierher von meinem beschissenen… Leben, ich will einfach nur… Scheiße. Und ständig muß ich mich damit herumschlagen, daß du mich ›Süße‹ nennst und mich anmachst, als ob das ein Reflex von dir ist, und dann guckst du mich immer so an, ach, ich will einfach… daß damit Schluß ist.« Sie rieb sich mit den Händen übers Gesicht, fuhr sich dann durchs Haar und stöhnte.
Ich versuchte es: »Ange…«
»Und nenn mich nicht Ange, Patrick. Laß das!« Sie trat gegen die untere Schublade ihres Schreibtisches. »Verstehst du, bei Männern wie Sterling Mulkern, dem fetten Arschloch, Phil und dir weiß ich es einfach nicht.«
Es fühlte sich an, als wäre mir etwas im Hals steckengeblieben, doch ich brachte heraus: »Weißt du was nicht?«
»Alles!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und sah dann wieder auf. »Ich weiß es einfach nicht mehr.« Sie stand so abrupt auf, daß ihr Stuhl eine volle Drehung vollführte, und näherte sich der Tür. »Und ich habe es verdammt satt, immer diese dämlichen Fragen zu hören.« Sie ging.
Das Geräusch ihrer Absätze hallte wie Gewehrfeuer von den Stufen wider. Ich verspürte einen starken, stechenden Schmerz hinter den Augen und war kurz davor loszuheulen.
Das Geräusch ihrer Absätze verstummte. Ich blickte aus dem Fenster, aber draußen erschien sie nicht. Die zerkratzte beigefarbene Lackierung auf dem Dach ihres Autos glänzte matt im Licht der Straßenlaterne.
Im Dunkeln nahm ich jeweils drei Stufen auf einmal, vor mir fiel die steile, enge Wendeltreppe in ein schwarzes Loch. Sie stand ein wenig abseits der untersten Stufe gegen den Beichtstuhl gelehnt. Zwischen ihren Lippen hing eine Zigarette, das Feuerzeug steckte sie gerade in die Tasche zurück, als ich um die Kurve bog.
Ich blieb stehen und wartete.
Sie fragte: »Und?«
Ich antwortete:

Weitere Kostenlose Bücher