Streng vertraulich
mit nur etwas weniger Narben im Gesicht als Devin. Er hatte einen gelangweilten, abgeklärten Gesichtsausdruck wie jemand, der alles schon mal gehört hat und sich zu fast allem eine Meinung gebildet hat. Müde hob er eine Braue: »Hey, Sarge, was darf’s sein?«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße«, rief jemand vor dem
Fernseher. »Zähl sie noch mal!«
»Leck mich - noch mal zählen! Kannst du ja machen.« Devin wollte wissen: »Was ist der Kern der intellektuellen
Debatte am anderen Ende der Theke?«
Der Barmann wischte die Theke vor uns sauber, während wir Platz nahmen. »Roy, der Typ auf der Theke, behauptet, Notre Dame wär’ die bessere Mannschaft, weil sie weniger Neger haben. Jetzt zählen sie nach.«
»Hey, Roy«, rief jemand, »der verfluchte Quarterback ist ein Neger. Wie weiß können kämpfende Iren sein?«
Angie merkte an: »Wenn mir das nicht bekannt vorkäme, würde ich mich schämen.«
Devin gab zurück: »Wir können sie ja alle erschießen, vielleicht bekommen wir dann einen Orden verliehen.«
Ich warf ein: »Warum sollen wir die Kugeln verschwenden?«
Der Barmann wartete derweil. Devin fing an: »Oh, ‘tschuldigung, Tommy. Drei Bier und ein Schnaps.«
Wer ihn nicht so gut kannte, könnte jetzt meinen, er hätte für uns drei bestellt. Ich ließ mich nicht täuschen: »Ein Bier«, bestellte ich.
Angie orderte das gleiche.
Devin schlug ein neues Päckchen Zigaretten gegen seine Hand und packte es aus. Er nahm sich eine und bot uns ebenfalls welche an. Angie griff zu. Ich widerstand. Wie immer unter Schmerzen.
Am anderen Ende der Theke tippte Roy mit dem Finger so flink auf den Fernseher, als würde er auf einem sinkenden Schiff SOS morsen, sein blasser, behaarter Bauch quoll unter einem verschwitzten blauen Sweatshirt hervor: »Ein Nigger, zwei, drei, vier, fünf… sechs, noch einer sind sieben, acht, neun. Neun Stück, und das ist nur der Angriff. Buffalos? Am Arsch! Das sind die Colorado Buschtrommler!«
Jemand lachte. Einer lacht immer.
Ich wunderte mich: »Wie können diese Arschlöcher in so einer Gegend überleben?«
Devin betrachtete das Glas mit den eingelegten Eiern. »Dazu habe ich eine Theorie.« Tommy stellte die drei Biere vor ihn, daneben den Schnaps und drehte sich dann ab, um unser Bier zu zapfen. Ehe ich mich versah, war der Schnaps in Devins Mund verschwunden. Er legte die Finger um eins der eisigen Biergläser und trank es zur Hälfte leer, bevor er wieder etwas sagte. »Kalt«, bemerkte er. »Meine Theorie ist, daß man bei solchen Leuten nur zwei Möglichkeiten hat: Entweder bringt man sie um, oder man läßt sie leben, denn ändern kann man sie nicht. Ich schätze, die Leute hier haben einfach keine Lust mehr, sie umzubringen.« Er leerte sein erstes Bier. Seine Zigarette war noch nicht einmal zur Hälfte aufgeraucht.
Ich fühle mich immer wie eine Chevette mit einem kaputten Reifen, die einen Porsche einzuholen versucht, wenn ich mit Devin einen trinken gehe.
Tommy stellte je ein Bier vor Angie und mich und schenkte Devin noch einen Schnaps ein.
Angie sagte: »Mein Vater ging immer in diese Kneipe.«
Während ich einmal mit den Wimpern schlug, trank Devin den zweiten Schnaps. »Warum hat er damit aufgehört?«
»Er ist gestorben.«
Devin nickte. »Das ist natürlich ein Grund.« Er fing mit seinem zweiten Bier an. »Kenzie, ging dein Alter, der große Feuerwehrmann, in solche Kneipen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er ging immer zu Vaughn’s auf der Dot Avenue. Nur dahin. Er sagte immer: ›Ein Mann, der seiner Kneipe nicht treu ist, ist auch nicht besser als eine Frau.‹«
»Ein wahrer Traummann, sein Vater«, warf Angie ein.
»Hab’ den Mann nie kennengelernt«, erwiderte Devin. »Hab’ aber das Bild gesehen. Zwei Kinder aus dem brennenden neunten Stock.« Er pfiff anerkennend und leerte sein zweites Bier. »Ich sag’ dir mal was, Kenzie, wenn du nur halb soviel Mumm hast wie dein Alter, überlebst du das hier vielleicht.«
Am anderen Ende der Theke brach jemand in Lachen aus. Roy zeigte auf den Bildschirm und rief: »Nigger, Nigger, Nigger, Nigger, Nigger, Nigger, Nigger«, und vollführte dabei auf den Knien einen kleinen Tanz. Als nächstes würden sie anfangen, sich über Aidswitze schlapp zu lachen.
Ich dachte darüber nach, was Devin gesagt hatte. »Das ist ja rührend, wie du dir um mich Gedanken machst«, sagte ich zu ihm.
Er verzog das Gesicht und runzelte die Stirn, während er das dritte Bier hinunterschüttete. Er stellte das Glas ab und
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