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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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wischte sich mit einer Serviette über den Mund. Dann rief er: »Tommy!« und winkte mit dem Arm wie ein drittklassiger Trainer, der seinen Angreifer nach Hause schickt. Tommy brachte noch mal zwei Bier und goß zum zweiten Mal Schnaps nach. Devin nickte, und Tommy entfernte sich wieder.
Devin drehte sich auf dem Barhocker um und sah mich an. »Gedanken?« fragte er. Dann kicherte er ein Friedhofslachen. »Ich sag’ dir mal, was man mit Gedanken erreicht - nichts. Ich mache mir Gedanken, daß sich diese Stadt in diesem Sommer in Stücke reißt. Deshalb passiert es aber trotzdem. Ich mache mir Gedanken, daß zu viele Kinder zu jung wegen Turnschuhen oder Baseballkappen oder fünf Dollar sterben, nur weil man dafür Kokain der schlechtesten Sorte kriegt. Und weißt du was? Sie sterben trotzdem. Ich mache mir Gedanken, daß solchen Scheißköpfen wie denen da«, er zeigte mit dem Daumen die Theke hinunter, »tatsächlich erlaubt wird, sich fortzupflanzen und neue Scheißköpfe großzuziehen, die genauso bekloppt sind wie sie selbst, aber sie paaren sich trotzdem wie die Karnickel.« Er vernichtete auch diesen Schnaps, und ich dachte, ich muß ihn wohl nach Hause fahren. Er verlagerte das Gewicht vom rechten Ellenbogen auf den linken und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette. »Ich bin dreiundvierzig Jahre alt«, sagte er, und Angie seufzte leise. »Ich bin dreiundvierzig«, wiederholte er, »und ich habe eine Waffe und eine Dienstmarke und gehe jede Nacht in die Gangreviere und tue so, als würde ich wirklich was machen, aber daß ich mir Gedanken mache, ändert nichts daran, daß ich nichts verändere. Mit Vorschlaghämmern haue ich die Türen von Sozialwohnungen ein, in denen es nach Sachen riecht, die man nicht mal identifizieren kann. Ich gehe durch Türen, es wird auf mich geschossen, Kinder kreischen und Mütter schreien, und irgendeiner wird verhaftet oder erschossen. Und dann, dann gehe ich nach Hause in meine beschissene kleine Wohnung, esse was aus der Mikrowelle und gehe schlafen, bis ich wieder aufstehe und das gleiche von vorn mache. Das ist mein Leben.«
Ich blickte Angie mit hochgezogenen Brauen an, und sie lächelte schwach; wir erinnerten uns beide an ihre Worte in der Kirche aus der letzten Nacht. »Ist das mein Leben?« Momentan machten einige Leute Inventur. Wenn ich mir Devin und Angie ansah, war ich mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war.
Am anderen Ende der Theke sagte jemand: »Aber guck dir an, wie der verfluchte Nigger rennen kann.«
Roy erwiderte: »Na klar kann der rennen, du Trottel. Der ist schon mit zwei Jahren vor den Bullen abgehauen. Denkt wahrscheinlich, er hätte ein gestohlenes Radio unterm Arm und keinen Football.«
Die ganze Gruppe lachte laut. Wichser, alle miteinander.
Mit leeren Augen beobachtete Devin sie durch den Qualm, der aus seiner Zigarette emporstieg. Er zog an ihr, die Asche fiel nach vorne auf die Theke. Er schien es nicht zu bemerken, obwohl die Hälfte davon auf seinem Arm gelandet war. Dann schluckte er den Rest Bier runter und starrte die Leute an, so daß ich das Gefühl bekam, es gäbe bald einen beachtlichen Sachschaden.
Devin drückte die erst zur Hälfte gerauchte Zigarette aus und erhob sich. Ich streckte den Arm aus und hielt fünf Zentimeter vor seiner Brust inne. »Devin.«
Er schob meinen Arm zur Seite, als wäre er ein Drehkreuz in der U-Bahn, und ging auf die Männer zu.
Angie drehte sich um und sah ihm nach. »Ereignisreicher Morgen.«
Devin war am anderen Ende der Theke angekommen. Nacheinander bemerkten ihn die Männer und sahen sich um. Er stand mit leicht gespreizten Beinen auf den Gummifliesen, die Arme hingen locker herunter. Mit den Händen vollführte er kleine, kreisende Bewegungen.
Tommy flehte: »Bitte, Sarge, nicht hier bei mir.«
Devin sagte ganz leise: »Komm her, Roy!«
Roy kletterte von der Theke herunter. »Ich?«
Devin nickte.
Roy ging an seinen Freunden vorbei und zog das Sweatshirt über seinen Bauch. Sobald er es losließ, rollte es sich wieder auf wie eine ungehorsame Markise. Roy fragte: »Ja?«
Devins Hand hing schon wieder an seinem Körper herunter, bevor die meisten von uns gemerkt hatten, daß er sie bewegt hatte. Roys Kopf flog nach hinten, und seine Beine gaben nach, kurz darauf lag er mit gebrochener Nase auf dem Boden, Blut schoß in einer kleinen Fontäne nach oben.
Devin blickte auf ihn herab und stieß ihm leicht gegen den Fuß. »Roy«, fing er an. Wieder trat er gegen den Fuß, diesmal etwas stärker.

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