Streng vertraulich
ab.«
»Und was ist mit Socia?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Was macht er?« erklärte ich. »Ich meine, ich weiß, daß er der Anführer von den Saints ist, aber sonst?«
»Marion ist ein echter Opportunist. Noch vor zehn Jahren war er nicht mehr als ein kleiner Zuhälter. Zwar ein ziemlich fieser kleiner Zuhälter, aber der Computer bekam nicht gerade Ladeprobleme, wenn man seinen Namen eintippte.«
»Und dann?«
»Dann kam Crack. Socia erkannte seine Bedeutung, lange bevor es auf die Titelseite von Newsweek kam. Er brachte den Drogenkurier von einem der jamaikanischen Syndikate um und übernahm dessen Kundschaft. Wir glaubten alle, er würde keine Woche überleben, aber er flog nach Kingston und zeigte dem Boß, daß er Mumm hatte, indem er ihn aufforderte, Rache zu üben.« Devin zuckte mit den Achseln. »Danach war es so, daß man Marion Socia fragen mußte, wenn man in dieser Stadt Crack kaufen wollte. So war es damals, am Anfang, aber heute ist er, trotz hartem Wettbewerb, immer noch der König. Er hat eine ganze Armee von Kids, die für ihn sterben würden, ohne Fragen zu stellen, und er besitzt ein so gut gespanntes Netzwerk, daß man einen von seinen hochrangigen Zulieferern hochgehen lassen kann, und er selbst läßt im Gegenzug vier oder fünf Verbindungsleute von der Bildfläche verschwinden.«
Eine Weile saßen wir schweigend da und tranken unseren Kaffee.
Angie fragte: »Wie will Roland Socia denn schlagen?«
Devin zuckte mit den Achseln. »Da fragst du mich was. Ich habe hundert Mäuse auf Socia gesetzt.«
»Gesetzt?« fragte ich.
Er nickte. »Klar. Bei uns in die Kasse, wir wetten darauf, wer den Bandenkrieg gewinnt. Ich verdiene nicht genug, ich muß sehen, wo ich noch was dazuverdienen kann. Die Quote für Roland liegt ungefähr bei eins zu sechzig.«
Angie bemerkte: »Auf der Beerdigung wirkten sie ziemlich gleich stark.«
»Das kann täuschen. Roland ist hart, er ist clever, und seine Clique macht ziemlich gute Arbeit für ihn auf der Angel Avenue. Aber er ist nicht wie sein Vater, noch nicht. Marion ist erbarmungslos und hat neun Leben. Jeder bei den Saints ist überzeugt, daß er der Teufel persönlich ist. Bekommst du auch nur den kleinsten Ärger mit Socias Organisation, bist du tot. Keine Aussteiger. Keine Kompromisse. Die Saints glauben, sie kämpfen einen heiligen Krieg.«
»Und die Avengers?«
»O ja, die stehen voll und ganz hinter ihrer Sache. Ohne Zweifel. Aber wenn es hart auf hart kommt und viele von ihnen sterben, fallen sie mit Sicherheit um, und Roland verliert. Verlaß dich drauf! In einigen Jahren sieht es vielleicht anders aus, aber im Moment ist er noch zu grün hinter den Ohren.« Er sah auf seinen kalten Kaffee und verzog das Gesicht. »Wieviel Uhr ist es?«
Angie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Elf.«
»Scheiße, irgendwo ist es schon Mittag«, sagte er. »Ich brauche Alkohol.« Er stand auf und warf ein paar Münzen auf den Tisch. »Los, kommt.«
Ich erhob mich. »Wohin?«
»Hier um die Ecke ist eine Kneipe. Ich lade euch zu einem Bier ein, bevor der Krieg ausbricht.«
Die Kneipe war klein und brechend voll. Die schwarzen Gummifliesen auf dem Boden rochen nach abgestandenem Bier, nassem Schmutz und Schweiß. Sie stellte eines der Paradoxe dar, die für diese Stadt so typisch sind: eine weiße irische Kneipe mitten in einer Schwarzengegend. Die Männer, die hier tranken, kamen schon seit Jahrzehnten her. Sie mauerten sich hier drinnen ein mit ihrem Ein-Dollar-Faßbier, ihren eingelegten Eiern und verknöcherten Ansichten und taten so, als hätte sich die Welt da draußen nicht verändert. Sie waren Bauarbeiter, die immer nur innerhalb desselben Radius von fünf Meilen gearbeitet hatten, seit sie ihre Gewerkschaftsausweise erhielten, weil in Boston immer irgendwas gebaut wird; sie waren Vorarbeiter in den Docks, in der Niederlassung von General Electric und von Sears and Roebuck. Um elf Uhr morgens tranken sie billigen Whiskey zu unglaublich kaltem Bier und guckten sich ein Video vom American-Football-Endspiel Notre Dame gegen Colorado Orange vom Neujahr letzten Jahres an.
Als wir eintraten, sahen sie uns gerade lang genug an, um unsere Hautfarbe zu erkennen, dann nahmen sie ihre Gespräche wieder auf. Einer von ihnen hockte mit den Knien auf der Theke und zeigte auf den Bildschirm, er zählte die Spieler. Er sagte: »Da, schon in der Verteidigung allein sind acht. Acht Stück, verdammt noch mal. Erzähl du mir noch mal was von Notre Dame.«
Der Barmann war ein Oldtimer
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