Streng vertraulich
mich schon nicht mehr gab.
»Ja, ganz bestimmt«, gab Devin zurück.
So ist er eben. Immer freundlich.
»Was soll ich tun?« fragte ich.
»Mein Vorschlag: Kauf ein Flugticket nach Tanger. Da findet er dich zwar auch, aber immerhin kannst du sagen, du hättest was von der Welt gesehen.« Er scharrte mit dem Fuß in dem dicken Stoppelgras vor sich. »Man sagt aber, daß er erst mit dir reden will. Glaubt wohl, daß du etwas hast, was er braucht.« Er hob den Fuß und wischte sich mit der Hand Gras vom Schuh. »Und was könnte das sein, Patrick?«
Ich zuckte mit den Achseln. Diese Augen waren noch immer auf mich gerichtet. Ich habe schon zugefrorene Teiche gesehen, die mehr Wärme ausstrahlen. Ich schlug vor: »Der Mann irrt sich.«
»Einverstanden. Er schießt aber verdammt gut. Hab gehört, er drückt gerne mal ab, schießt seinen Opfern erst mal in den Arm oder ins Bein. Verstehst du, er läßt sich Zeit. Man muß erst eine halbe Stunde betteln, bis er den Kopfschuß setzt. Ein wahrer Menschenfreund, unser Socia.« Er faltete die Hände und ließ die Gelenke krachen. »Also, Patrick, warum glaubt er, du hättest etwas, das er braucht?«
Angie drückte mir die Hand und schob mir die andere Hand unter den Arm. Sie fühlte sich warm und bittersüß an. Sie fragte: »Wer ist der Typ mit dem Regenschirm?«
Devin gab zurück: »Ich dachte, ihr beiden seid Detektive.«
Jetzt hatte sich der Trenchcoat auch umgedreht. Er folgte Socias Blick und sah mich ebenfalls an. Ich fühlte mich wie ein Goldfisch im Haifischbecken.
Angie erklärte: »Nein, Devin, wir studieren noch. Sag doch mal, wer ist der Typ mit dem Regenschirm?«
Er ließ wieder die Gelenke krachen und seufzte so, als würde er in einer Hängematte liegen und ein Bier trinken. »Das ist Jennas Sohn.«
Ich wiederholte: »Jennas Sohn.«
»Spreche ich undeutlich? Jennas Sohn. Er ist der Anführer der Angel Avengers.«
Die Angel Avenue läuft mitten durch Schwarz-Dorchester. Wenn die Ampel Rot zeigt, hält man dort nicht an. Nicht mal am hellichten Tage.
»Hat er’s auch auf mich abgesehen?«
»Soweit ich weiß, nicht«, antwortete Devin.
Angie fragte: »Ist Socia sein Vater?«
Devin sah die beiden an, dann uns beide. Er nickte. »Aber ich glaube, die Mutter war es, die ihn Roland genannt hat.«
18_____
Ganz schön böses Kind, unser Roland«, bemerkte Devin.
Ich trank einen Schluck Kaffee. »Für mich sieht er nicht gerade wie ein Kind aus«, erwiderte ich.
Devin verschluckte ein großes Stück Doughnut und griff nach seinem Kaffee. »Er ist sechzehn Jahre alt.«
Angie wiederholte: »Sechzehn?«
»Gerade geworden«, erwiderte Devin, »letzten Monat.«
Ich dachte darüber nach, was ich gesehen hatte: einen großen muskulösen Jungen mit der Haltung eines jungen Generals, der mit einem Regenschirm in der Hand auf dem kleinen Hügel vor dem Grab seiner Mutter steht. Er sah aus, als kenne er bereits seinen Platz in der Welt - in vorderster Reihe, seine Gefolgschaft hinter ihm.
Als ich sechzehn war, kannte ich noch nicht einmal meinen Platz in der Schlange bei der Essensausgabe in der Schule. Ich fragte: »Wie kann ein sechzehnjähriger Junge ein Netzwerk wie die Avengers anführen?«
»Mit einer großen Knarre«, antwortete Devin. Er sah mich achselzuckend an. »Ist ein ziemlich cleveres Bürschchen, unser Roland. Außerdem hat er richtig Mumm. Kann man gut gebrauchen, wenn man eine Gang anführt.«
»Und Socia?« hakte Angie nach.
»Tja, ich erzähl’ dir mal was über Roland und seinen Daddy Marion. Man sagt, die einzige Naturgewalt in dieser Stadt, die noch gefährlicher ist als Roland, ist sein Vater. Und das kannst du mir glauben, ich habe schon sieben Stunden lang mit Marion in einem arschkalten Vernehmungszimmer gesessen. Wo bei anderen das Herz sitzt, hat der Typ ein Loch.«
»Und Roland will sich mit ihm anlegen?«
»Sieht so aus«, erwiderte Devin. »Jedenfalls sind sie nicht ein Herz und eine Seele. Eins kannst du mir glauben: Roland läuft nicht durch die Gegend, weil sein Alter ihm irgendwie geholfen hätte. Socia wurde ohne Vaterinstinkte geboren. Früher waren die Avengers eine Art Brudergang der Saints. Aber vor ungefähr drei Monaten hat Roland das geändert, trennte sich von der Organisation seines Alten. Socia hat, soweit uns bekannt ist, mindestens viermal versucht, Roland zu erledigen, aber das Kind will einfach nicht abkratzen. In den letzten Monaten sind ‘ne ganze Menge Leichen in Mattapan und in Bury aufgetaucht, aber Roland war nicht
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