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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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die ebenfalls Kleeblätter auf den T-Shirts hatten. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und dem Jungen bestand darin, daß auf seinem T-Shirt in grüner Schrift »Dorchester« über das Kleeblatt geschrieben war und bei ihnen »Southie«. Die Kids aus der D Street lösten das Problem, indem sie den Jungen von einem Dach stießen.
Wir fuhren den Broadway hinauf, vorbei an Kindern mit Lockenwicklern, die Kinder in Kinderwagen schoben, vorbei an Autos, die in zweiter und dritter Reihe parkten, vorbei an dem gesprayten Schriftzug »Nigger bleiben draußen« auf einem Ladengitter. Glassplitter blitzten auf den dreckigen Bürgersteigen, Müll wurde unter die Autos und auf die Straße geweht. Ich überlegte mir, daß ich aussteigen und zwanzig Leute befragen könnte, warum sie die »Nigger« so sehr haßten, und daß mir die Hälfte von ihnen wahrscheinlich antworten würde: »Weil sie verdammt noch mal keinen Stolz besitzen, Mann.« Was also, wenn der Broadway in Southie genau dasselbe war wie die Dudley Street in Roxbury, wenn auch nicht ganz so schlimm?
Wir befanden uns inzwischen in Dorchester, wo wir um den Columbia Park fuhren und dann in Richtung unserer Straße. Ich hielt vor der Kirche an, und als wir die Treppe hochstiegen, konnten wir schon das Telefon klingeln hören. Anstrengender Tag. Nach dem zehnten Klingeln nahm ich ab. »KenzieGennaro«, meldete ich mich.
Angie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, und die Stimme am anderen Ende sagte: »Moment. Hier möchte jemand mit Ihnen sprechen.«
Ich ging um den Tisch herum und setzte mich ebenfalls, den Hörer nahm ich mit. Angie sah mich fragend an, doch ich zuckte mit den Achseln.
Dann war eine Stimme in der Leitung. »Mr. Kenzie?«
»Ich glaube schon.«
»Der Patrick Kenzie?« Die Stimme klang irgendwie unsicher, als sei sie es nicht gewohnt, mit ironischen Bemerkungen umzugehen.
»Kommt drauf an«, erwiderte ich. »Wer ist da?«
»Du bist also Kenzie«, sagte die Stimme. »Wie geht’s mit dem Atmen?«
Ich sog hörbar Luft ein, hielt kurz inne und atmete dann langsam wieder aus. Ich antwortete: »Viel besser, seit ich nicht mehr rauche, danke.«
»Ähem«, kam es langsam und zäh aus seinem Mund wie Ahornsirup. »Tja, dann gewöhn dich gar nicht erst dran. Ist sonst zu deprimierend, wenn du es nicht mehr kannst.« Die Ahornsirupstimme klang voll, aber hell.
Ich fragte: »Drückst du dich immer so aus, Socia, oder ergehst du dich nur heute besonders gerne in Andeutungen?«
Angie richtete sich auf und beugte sich vor.
Socia sagte: »Kenzie, der einzige Grund, warum du noch herumläufst, ist, weil wir über was reden müssen. Ich könnte auch einfach einen vorbeischicken, der dir das Rückgrat mit ‘nem Hammer bearbeitet. Ich brauche ja nur deinen Mund.«
Ich setzte mich ebenfalls auf und kratzte mich ein paar Zentimeter über dem Hintern. Ich ging auf ihn ein. »Dann schick doch einen vorbei, Socia. Ich nehme gern noch ein paar Amputationen vor. Dann hast du bald eine ganze Armee von Krüppeln.«
»Du hast gut reden, wo du sicher und behütet in deinem Büro sitzt.«
»Tja, guck mal, Marion, ich muß ja mein Geschäft weiterführen.«
»Sitzt du gerade?« fragte er.
»Ja, klar.«
»Auf dem Stuhl neben dem Ghettoblaster?«
Alles in mir wurde eiskalt, ein Strom zerstoßenen Eises ergoß sich in meine Arterien.
Socia redete weiter: »Falls du auf dem Stuhl sitzt, würde ich jetzt nicht unbedingt aufstehen, es sei denn, du willst sehen, wie dein Arsch an dir vorbei aus dem Fenster fliegt.« Er kicherte. »Nett, dich kennengelernt zu haben, Kenzie.«
Er legte auf. Ich sah Angie an und sagte: »Beweg dich nicht«, obwohl sie es ja ruhig tun konnte.
»Was?« Sie stand auf.
Das Zimmer explodierte nicht, doch fiel ich fast in Ohnmacht. Immerhin war jetzt klar, daß er nicht noch eine Bombe unter ihrem Stuhl angebracht hatte, nur so zum Spaß. Ich erklärte: »Socia sagt, unter meinem Stuhl wär ‘ne Bombe.«
Sie erstarrte mitten im Gehen vor Schreck. Mit dem Wort »Bombe« erreicht man so was. Dann atmete sie tief ein. »Die Sprengstoffexperten von der Feuerwehr anrufen?«
Ich versuchte, nicht zu atmen. Es bestand die Möglichkeit, sagte ich mir, daß das Gewicht des Sauerstoffs in meiner Lunge Druck auf meinen Unterkörper ausüben und die Bombe zur Detonation bringen könnte. Gleichzeitig merkte ich, wie absurd diese Idee war, da die Bombe bestimmt durch Druckabfall zünden würde, nicht durch Erhöhung des Drucks. Deshalb konnte ich jetzt nicht ausatmen. Am besten

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