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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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uns sah rüber.
Es klingelte noch zweimal.
»Patrick.«
»Was ist?«
Noch ein Klingeln.
»Das ist wahrscheinlich George.«
Ich merkte, daß sich mein Unterkiefer entspannte, drehte mich um und nahm den Hörer hoch. »Patrick Kenzie.«
»Hi, Patrick. Ich bin’s, George.«
»Georgie«, grüßte ich ihn mit gespielter Freude in der Stimme.
»Hast du einen Stift?«
»Detektive haben immer einen Stift, George.«
»Ha. Ja klar. Jenna Angelines Auto ist ein Chevy Malibu von 1979. Hellblau. Kennzeichen DRW - vier sieben neun. Seit dem dritten Juni liegt eine Krallenverfügung drauf.«
Ich merkte, daß sich in meiner Magengrube ein Sturm zusammenbraute, mein Herz pochte. »Eine Krallenverfügung?«
»Ja«, erklärte George. »Eine Reifenkralle. Offenbar wollte Ms. Angeline ihre Knöllchen nicht bezahlen.«
Eine Reifenkralle. So ein gelbes, nicht abnehmbares Schloß am Reifen. Der blaue Malibu, auf dem Jeromes Freunde gesessen hatten, als ich zu Jennas Haus ging. Genau davor geparkt. Und wird in nächster Zeit auch nicht von der Stelle bewegt werden.
»George, du bist der Größte. Das schwöre ich.«
»Habe ich geholfen?«
»Und wie du geholfen hast.«
»Hey, wir könnten doch bald mal ein Bier zusammen trinken, oder?«
Ich sah Angie an. Sie schielte etwas auf ihrem Schoß an, das Haar hing ihr ins Gesicht, doch die Wut war noch nicht verraucht. Ich ging drauf ein: »Ja, fände ich wirklich gut, George. Ruf mich doch Ende nächster Woche mal an, ja? Bis dahin sollte ich hiermit durch sein.« Oder tot sein.
»Klar«, erwiderte er. »Klar.«
»Bis dann, George.«
Ich legte auf und sah meine Kollegin an. Sie klopfte wieder mit dem Stift gegen die Zähne und blickte mich ausdruckslos an. Ihre Stimme klang ebenso. »Hab’ etwas daneben gegriffen.«
»Vielleicht nicht. Vielleicht bin ich einfach noch nicht soweit, diesen Teil meiner Psyche zu erforschen.«
»Vielleicht bist du das nie.«
»Vielleicht. Und was ist mit dir?«
»Und dem Arschloch, wie du ihn so freundlich nennst?«
»Ja, mit dem.«
»Es tut sich was«, erwiderte sie. »Es tut sich was.«
»Was willst du mit unserem Fall machen?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Du kennst meine Meinung. Aber ich war auch nicht diejenige, die zusehen mußte, als Jenna starb, also mußt du es entscheiden. Aber vergiß nicht, du bist mir was schuldig.«
Ich nickte und streckte ihr die Hand entgegen. »Freunde?«
Sie verzog das Gesicht und klatschte mir auf die Hand. »Waren wir doch immer, oder?«
»Vor fünf Minuten nicht«, lachte ich.
Sie kicherte. »O ja.«
    Wir parkten oben auf dem Hügel, von wo aus man das Haus von Jenna und ihren davor geparkten blauen Malibu sehen konnte. Selbst im Dämmerlicht war die gelbe Radkralle noch gut zu erkennen. Bostoner sammeln Strafzettel und Verwarnungen mit einer Beharrlichkeit, um die sie die meisten Profisportler beneiden würden. Sie warten mit dem Bezahlen auch gerne so lange, bis ihr Führerschein abgelaufen ist und sie einen neuen beantragen. Das bemerkten nach einiger Zeit auch die städtischen Beamten, sie warfen einen Blick in ihre fast leere Kasse, fragten sich, woher denn die Gelder kommen sollten, mit denen sie ihre Kinder durchs College und den eigenen Hintern ins Ferienhaus auf Martha’s Vineyard brachten, und erfanden die Reifenkralle. Wie der Name schon sagt, wird sie an den Reifen geklemmt, so daß das betreffende Auto nicht eher bewegt werden kann, bis alle Strafgebühren vollständig bezahlt sind. Daran herumzufummeln ist ein schweres Vergehen und wird mit Gefängnis und/oder einer saftigen Geldbuße bestraft. Aber nicht das hält die Leute davon ab, sondern die Tatsache, daß die verdammten Dinger fast so schwer zu entfernen sind wie ein alter Keuschheitsgürtel. Ein Freund von mir hat es mal mit Hammer und Meißel und einem gezielt angesetzten Schlag geschafft. Aber die Kralle muß schon vorher kaputt gewesen sein, denn er konnte seine Großtat nie mehr wiederholen. Außerdem hatte er ein verdammt schlechtes Gewissen; er hätte für den Rest seines Lebens eingebuchtet werden können - als gewerblicher Krallenaufbrecher für jedermann. Hätte mehr Geld verdient als Michael Jackson.
    Wenn Jenna in dem Auto etwas versteckt hatte, wäre das auf verdrehte Art logisch. Klar, ein unbewacht in Boston abgestelltes Auto büßt nach vier oder fünf Minuten normalerweise sein Autoradio samt Lautsprecher ein, oft sogar auch den Rest. Aber der Markt für ausgeschlachtete Teile von fünfzehn Jahre alten Chevies ist auch nicht mehr, was er

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