Streng vertraulich
Machte Sam Spade besser nach als ich. Sie fing von vorne an: »Was wissen wir über Jenna?«
»Sie ist tot.«
Angie nickte. Sanft entgegnete sie: »Abgesehen davon.«
»Wir wissen, daß sie mit Socia verheiratet war. Egal, ob richtig getraut oder nicht, keine Ahnung, aber verheiratet war sie.«
»Und hatte ein Kind von ihm. Roland.«
»Und hat drei Schwestern in Alabama.«
Sie setzte sich auf, die Füße schlugen auf den Boden. »Alabama«, schlug sie vor, »sie hat sie nach Alabama geschickt.«
Ich dachte darüber nach. Wie gut kannte Jenna diese Schwestern noch? Wie sehr konnte sie ihnen vertrauen? Ach Quatsch, wie sehr konnte sie der Post vertrauen? Dies war ihre einzige Chance, ein bißchen »Gerechtigkeit« zu bekommen. Den Menschen, die ihr das Leben schwergemacht haben, ein klein wenig heimzuzahlen. Würde sie diese Rache aufs Spiel setzen, indem sie das Mittel zum Zweck einfach auf Reisen schickte ?
»Ich glaube nicht«, erwiderte ich.
»Warum nicht?« gab sie bissig zurück. Es war ihr Einfall - so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben.
Ich erklärte ihr meinen Gedankengang.
»Vielleicht«, lenkte sie mit leicht beruhigter Stimme ein. »Aber wir behalten es im Hinterkopf.«
»In Ordnung.« Die Idee war ja nicht schlecht, und wenn wir nichts anderes fänden, würden wir die Spur verfolgen, aber so richtig paßte es einfach nicht.
So ist es oft bei uns. Wir sitzen im Büro herum, werfen uns Ideen zu und warten auf die göttliche Eingebung. Wenn die nicht kommt, spielen wir jede Möglichkeit durch, und normalerweise, wenn auch nicht immer, stolpern wir dann am Ende über irgendwas, das uns schon am Anfang hätte auffallen müssen.
Ich versuchte es: »Wir wissen, daß sie vor ein paar Jahren Ärger mit Gläubigern hatte.«
Angie gab zurück: »Ja, und?«
»Ich sammle nur. Perlen der Weisheit habe ich nie versprochen.«
Sie runzelte die Stirn. »Sie hat aber keine Vorstrafen, oder?«
»Nur einen Haufen Knöllchen.«
Angie schnippte die Zigarette aus dem Fenster.
Ich dachte an das Bier in meiner Wohnung. Ich hörte es nach mir rufen, ich sollte ihm Gesellschaft leisten.
Angie sponn weiter: »Also, wenn sie so viele Knöllchen hatte…«
Wir blickten uns an und sprachen gemeinsam weiter: »Wo ist dann ihr Auto?«
22_____
Wir riefen George Higby bei der Kfz-Meldestelle an. Wir versuchten es fünfzehnmal, bis wir endlich durchkamen, und als wir das geschafft hatten, sagte uns eine Stimme vom Band, alle Leitungen seien belegt. Unser Anruf liege in der Warteschleife, wir sollten bitte nicht auflegen. Da ich mir bis zum Ende des Monats eh nicht viel vorgenommen hatte, klemmte ich den Hörer zwischen Kinn und Schulter und wartete.
Ungefähr fünfzehn Minuten später hatte die Stille ein Ende, es klingelte am anderen Ende der Leitung einmal, zweimal, dreimal; vier, fünf, sechs, eine Stimme sagte: »Kraftfahrzeugmeldestelle. «
Ich antwortete: »George Higby bitte, Kfz-Registrierung.« Die Stimme hatte mich nicht gehört. Sie fuhr fort: »Sie sind mit der Kraftfahrzeugmeldestelle verbunden. Unsere
Geschäftszeiten sind Montag bis Freitag, neun bis siebzehn Uhr. Wenn Sie Hilfe brauchen und ein Tastentelefon besitzen, drücken Sie jetzt bitte die Eins.« Als mir der künstliche Piepston ins Ohr schrillte, fiel mir ein, daß heute Sonntag war. Wenn ich die Eins drückte, würde ich an einen anderen Computer gelangen, der mich wieder freudig mit einem weiteren Computer verbinden würde, und wenn ich dann so sauer war, daß ich das Telefon am liebsten aus dem Fenster geschmissen hätte, würden sich alle Computer bei der Meldestelle ins Fäustchen lachen.
Ich liebe sie einfach, die verdammte moderne Technik. Ich legte auf. »Heute ist Sonntag.«
Angie sah mich an. »Ja, stimmt. Sag mir, was für ein Tag
heute ist, und du bist mein Held.«
»Haben wir hier Georges Privatnummer?«
»Gut möglich. Soll ich mal nachgucken?«
»Das wäre toll.«
Sie rollte mit dem Stuhl zum PC hinüber und gab ihr
Paßwort ein. Nach kurzer Wartezeit flogen ihre Finger so schnell über die Tasten, daß der Computer kaum noch mitkam. Geschah ihm recht. Hing an seinem freien Tag bestimmt mit den Computern von der Meldestelle herum.
Angie meldete: »Hab’ sie.«
»Gib’s mir, Baby.«
Das tat sie nicht, sie gab mir nur die Nummer.
George Higby ist einer dieser unglücklichen Zeitgenossen,
die mit der Überzeugung durchs Leben gehen, der Rest der Welt sei so nett wie sie. Da er morgens mit dem Wunsch aufsteht, die Welt ein bißchen
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