Streng vertraulich
lebensnotwendig.
Angie blickte auf, ihre Augen waren gerötet, aber trocken. Sie zeigte auf die Mappe: »Egal wie, wir machen sie fertig.«
Ich nickte. »Dafür werden wir sie büßen lassen.«
Sie zuckte mit den Achseln und lehnte sich gegen das Taufbecken. »O ja.«
Ich nahm ein Foto wieder heraus, eines, das den Akt darstellte und auf dem der Junge, Socia und Paulsons Körper ohne seinen Kopf zu sehen waren. Vielleicht gehörte Socia Devin, aber Paulson gehörte mir. Ich brachte die Mappe zu einem der hinteren Beichtstühle, schlug den schweren, bordeauxroten Vorhang zur Seite und bückte mich. Mit einem Taschenmesser bearbeitete ich ein quadratisches Stück Marmor, das schon seit meiner Zeit als Meßdiener lose war. Ich hob es heraus und legte die Mappe in das fünfzig mal fünfzig Zentimeter große Loch. Angie stand jetzt hinter mir, und ich streckte die Hand aus. Sie reichte mir ihre .38, und ich fügte meine Neun-Millimeter hinzu, dann verschloß ich das Loch wieder. Der Stein saß fest, man konnte keine Lücke erkennen, und mir wurde klar, daß ich mich für eine der großen katholischen Traditionen entschieden hatte: für das Verheimlichen.
Ich verließ den Beichtstuhl, und zusammen gingen wir den Mittelgang hinunter. An der Tür tauchte Angie die Finger ins Weihwasser und bekreuzigte sich. Ich spielte auch mit dem Gedanken, schließlich brauchte ich bei diesem Fall jede verfügbare Hilfe, aber es gibt noch etwas, das ich mehr hasse als einen Heuchler: einen frommen Heuchler. Wir stießen die schweren Eichentüren auf und traten in das frühabendliche Sonnenlicht.
Devin und Oscar hatten vor der Kirche geparkt; sie standen über die Motorhaube von Devins Camaro gebeugt und machten sich an einer Auswahl von McDonald’s-Produkten zu schaffen. Sie sahen nicht einmal auf, Devin sagte nur zwischen zwei Bissen von einem Big Mac: »Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Gib mir mal die Fritten, Kollege. Sie haben das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen…«
Erst spät am nächsten Morgen waren sie mit uns fertig. Devin und Oscar bekamen offensichtlich eine Menge Druck von oben. Wenn sich Straßengangs in Roxbury oder Mattapan Schießereien lieferten, war das eine Sache, wenn so etwas aber aus den Ghettos ausbrach und seine häßliche Fratze im Herzen der Stadt zeigte, so daß Herr und Frau Spießbürger über ihre Louis-Vuitton-Koffer stolperten, um sich aus der Schußlinie zu bringen, dann gab es ein Problem. Uns wurden Handschellen angelegt. Wir wurden eingebuchtet. Bevor wir auf dem Revier ankamen, nahm Devin mir, ohne ein Wort zu sagen, das Foto ab. Kurz danach nahm man mir auch alles andere, das ich dabeihatte.
Ich mußte zusammen mit vier Bullen, die mir nicht im entferntesten ähnlich sahen, an einer Gegenüberstellung teilnehmen. Ich starrte in das grelle Licht. Hinter dem Licht hörte ich einen Bullen sagen: »Nehmen Sie sich Zeit. Sehen Sie gut hin«, worauf eine Frauenstimme klagte: »Ich habe eigentlich nicht viel gesehen. Ich habe nur den großen schwarzen Kerl gesehen.«
Glück gehabt. Wenn geschossen wird, sehen die Leute meistens nur den Schwarzen.
Angie und ich trafen uns später wieder, als sie uns auf einer Bank neben einem räudigen Penner namens Terrance zwischenlagerten. Terrance roch nach verfaulten Bananen, doch das schien ihm nichts auszumachen. Während er sich mit dem Zeigefinger die Zähne bürstete, erklärte er mir fröhlich, warum die Welt außer Kontrolle geraten war. Wegen des Uranus. Die guten grünen Männchen, die auf jenem Planeten leben, hätten nicht die Technologie, um moderne Städte zu bauen; Terrance erzählte uns, daß sie Bauernhäuser errichten könnten, da liefe einem das Wasser im Munde zusammen, aber Wolkenkratzer seien zu schwer für sie. »Aber sie wollen unbedingt welche haben, verstehste?« Und weil wir so viele Wolkenkratzer haben, wollten die Uranier die übernehmen. Deshalb pissen sie in den Regen, damit unsere Wasservorräte mit einer Droge versetzt werden, die gewalttätig macht. Innerhalb von zehn Jahren, vertraute Terrance uns an, hätten wir uns alle gegenseitig umgebracht, und die Städte würden ihnen gehören. Grüne Riesenparty im Sears Tower.
Ich fragte Terrance, wo er denn zu diesem Zeitpunkt sein würde, und kassierte für diese ermutigende Frage von Angie einen Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Terrance ließ kurz vom Zähnebürsten ab und sah mich an. »Wieder auf dem
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