Streng vertraulich
ging so gut wie jeder in dem Haus drauf, auch zwei Babys, das ältere war höchstens neun Monate alt. Wir wissen noch nicht genau Bescheid, aber wahrscheinlich sind zwei von den Toten weiße Collegekinder, die was kaufen wollten. Was Besseres konnte eigentlich nicht passieren. Vielleicht machen sich jetzt ein paar Leute Gedanken.«
Ich fragte: »Was hast du mit dem Foto gemacht?«
»Hab’s zu den Akten gelegt«, erwiderte Devin. »Socia wird schon wegen sieben Toten in den letzten zwei Nächten gesucht. Wenn er dingfest gemacht werden kann, kann man ihn mit diesem Foto zusätzlich festnageln. Der Weiße auf dem Bild, der auf dem kleinen Kind - wenn mir einer sagt, wer das ist, vielleicht kann ich etwas damit anfangen.«
»Wenn ich vielleicht wieder auf die Straße dürfte, könnte ich ein paar Sachen machen, die du nicht machen darfst.«
Devin fragte: »Zum Beispiel einen Bahnhof hochgehen lassen?«
Oscar ergänzte: »Auf der Straße hältst du keine fünf Minuten mehr durch, Kenzie.«
Angie fragte: »Warum?«
»Weil Socia weiß, daß du Belastungsmaterial gegen ihn hast. Knallharte Beweise. Patrick, weil dein Hauptschutz nicht mehr im Spiel ist, und das wissen alle. Weil dein Leben keinen Penny mehr wert ist, solange Socia noch herumläuft.«
»Und wie lautet die Anklage?« wollte ich wissen.
»Anklage?«
»Wofür werden wir angeklagt, Devin?«
Oscar wiederholte: »Anklage?«, als wären die beiden Papageien.
»Devin.«
»Mr. Kenzie, ich habe nichts gegen Sie in der Hand. Mein Kollege und ich hatten den Eindruck, daß Sie in eine häßliche Angelegenheit in South Station gestern am frühen Nachmittag verwickelt waren. Aber da wir keine Zeugen dafür haben, was soll ich sagen? Wir sind aufgeschmissen. Und das tut uns wirklich leid, ehrlich.«
Angie mahnte: »Nimm die Handschellen ab!«
»Wenn wir nur wüßten, wo die Schlüssel sind«, klagte Devin.
»Nimm, verdammt noch mal, die Handschellen ab, Devin!« wiederholte sie.
»Oscar?«
Oscar sah in allen Taschen nach.
»Oscar hat sie auch nicht. Wir müssen mal nachfragen gehen.«
Oscar stand auf. »Vielleicht such’ ich mal ein bißchen, vielleicht tauchen sie ja auf.«
Er ging, und wir saßen da, während Devin uns beobachtete. Wir sahen ihn an. Er schlug vor: »Wie wär’s mit Schutzhaft?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Patrick«, sagte er in einem Ton, den meine Mutter immer anschlug, »draußen tobt eine Schlacht. Du überlebst nicht mal bis zum Sonnenaufgang. Angie, du auch nicht, wenn du bei ihm bleibst.«
Sie ließ den Stuhl nach hinten fallen und wandte mir ihr wunderschönes, müdes Gesicht zu. Sie sagte: »Mir wirft niemand mein Gewehr vor die Füße und sagt: Verschwinde. Niemand.« Wie James Coburn in Die glorreichen Sieben. Dann verzog sich ihr voller Mund zu einem breiten Lachen, das mein Herz erschütterte. Ich glaube, in dem Moment wußte ich, was Liebe ist.
Wir schauten Devin an.
Er seufzte. »Den Film hab’ ich auch gesehen. Am Ende ist Coburn gestorben.«
»Es gibt ja auch Neuverfilmungen«, schlug ich vor.
»Aber nicht in diesem Leben.«
Oscar kam wieder herein. »Guckt mal hier«, rief er und hielt einen kleinen Schlüsselbund hoch.
»Wo hast du die her?« fragte Devin.
Oscar warf sie vor mir auf den Tisch. »Wo ich sie liegengelassen hatte. Manchmal wirklich komisch, hm?«
Devin zeigte auf uns. »Die halten sich für Cowboys.«
Oscar zog seinen Stuhl zurück und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht hineinfallen. »Dann beerdigen wir sie mit ihren Stiefeln.«
26_____
Wir konnten nicht nach Hause gehen. Devin hatte recht. Ich hatte kein As mehr im Ärmel, und Socia hatte nichts mehr zu verlieren, solange ich noch atmete.
Wir hingen noch ungefähr zwei Stunden lang herum, während die beiden den ganzen Papierkram erledigten. Dann brachten sie uns durch den Seiteneingang nach draußen und fuhren uns ein paar Häuserblocks weiter ins Lenox Hotel.
Als wir aus dem Auto stiegen, sah Oscar zu Devin hinüber. »Los, gib dir einen Ruck und sag’s ihnen.«
Wir standen wartend an der Bordsteinkante.
Devin sagte: »Rogowski hat ein gebrochenes Schlüsselbein und eine Unmenge Blut verloren, aber sein Zustand ist stabil.«
Angie sackte für einen Augenblick gegen mich.
Devin verabschiedete sich: »Ein großes Vergnügen, euch kennengelernt zu haben«, und fuhr weg.
Die Leute vom Lenox schienen sich nicht gerade zu freuen, daß wir uns um acht Uhr morgens für ihr Hotel entschieden hatten, ohne Gepäck. Paßenderweise sahen unsere Klamotten aus, als hätten
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