Striptease: Roman (German Edition)
war.
Angela sagte: »Mrs. Bickel hat ein Aquarium. Sie läßt mich ihre Aale füttern.«
Mrs. Bickel war die ältliche Nachbarin von Rita und Alberto Alonso. Sie hatte für Angela zum Frühstück gerade Doghnuts mit Zuckerguß im Mikrowellenherd zubereitet, als Erin bei ihr erschienen war, um ihre Tochter abzuholen.
»Ich habe kein Aquarium bemerkt«, sagte Erin.
»Es steht im Schlafzimmer neben dem Fernseher. Die Aale sind grün und haben alle ihre schönen Fische aufgefressen.«
»Ich verstehe«, sagte Erin. Es klang so, als passe Mrs. Bickel perfekt in den Wohnwagenpark.
»Fahren wir jetzt zu deinem Haus?« erkundigte sich Angela.
»Aber sicher. Es ist jetzt unser Haus.«
»Den ganzen Tag?«
»Noch viel länger«, sagte Erin.
Angela machte ein besorgtes Gesicht. Erin wurde das Herz schwer bei dem Gedanken, daß ihre Tochter vielleicht lieber bei Darrell oder Rita oder der alten Dame mit den Aalen wäre. Sie fühlte sich völlig gelähmt und hatte Angst vor Angies möglicher Reaktion. Ich will meinen Daddy! Erin hätte es nicht ertragen können.
Das kleine Mädchen brach das Schweigen mit einem Wort: »Pyjama.«
Sie trug ihren Lieblingsschlafanzug mit Big Bird und dem Cookie Monster. »Aber er ist schmutzig«, sagte Angela. Sie zupfte an einem Ärmel, um ihn ihrer Mutter zu zeigen. »Alle meine Kleider sind bei Daddy. Und was ist mit sauberen Unterhosen?«
»Wir kaufen dir neue Kleider«, versprach Erin.
»Au ja!«
»Gehst du gerne einkaufen?«
»Ich weiß nicht. Daddy nimmt mich immer nur in Krankenhäuser mit.«
»Richtig. Um Rollstuhl zu fahren.« Erin dachte: Wie soll ich jemals meiner Tochter diesen Mann erklären? In welchem Alter ist ein Kind fähig zu begreifen, daß sein Vater Abschaum ist?
»Einmal sah ich einen Jungen in einem Rollstuhl«, erzählte Angela.
»In einem Krankenhaus?«
»Ja. Daddy sagte, der kleine Junge sei sehr krank, deshalb dürften wir ihn nicht so schnell schieben.«
»Damit hatte dein Daddy ganz recht«, sagte Erin.
»Als sie den Jungen in sein Zimmer gebracht hatten, holte Daddy den Rollstuhl und nahm ihn mit nach Hause.«
»Ach?«
»Um ihn zu reparieren«, fuhr Angela mit stolzer Stimme fort. »Er brauchte eine neue Bremse.«
»Hat Daddy das gesagt?«
»Und neue Räder. War das nicht lieb von ihm?«
Erin seufzte. »Angie, ich bin so froh, daß du gestern angerufen hast.«
»Ich auch.«
Für Mordecai war der Begriff »Erpressung« viel zu melodramatisch, um das zu beschreiben, was er mit dem Kongreßabgeordneten David Lane Dilbeck vorhatte. Er griff lediglich hart durch, mehr nicht. Und schließlich war sowohl vor Gericht wie auch bei einer außergerichtlichen Einigung das grundlegende Verhandlungselement immer die Drohung.
Jemand stürzt in einem Supermarkt und engagiert einen Anwalt. Der Supermarkt zahlt eine sechsstellige Summe. So etwas geschieht jeden Tag, und niemand nennt es Erpressung. Hier wird ein Unschuldiger von einem betrunkenen Kongreßabgeordneten mißhandelt und schaltet einen Rechtsanwalt ein – und sie nennen es Abkassieren! Mordecai amüsierte sich über diese doppelte Moral.
Der Angriff auf Paul Guber war gemein und nicht aus der Welt zu schaffen. Jeder auf Schadenersatzprozesse spezialisierte Anwalt hätte den Fall mit Kußhand genommen. Natürlich hätten die meisten Anwälte keinen Vergleich gegen den Willen ihres Mandanten vorgeschlagen und alles so gedreht, daß der Löwenanteil des Geldes bei ihnen landete. Es war nicht gerade Mordecais stolzester Moment als Mitglied der Anwaltskammer, aber in diesen harten Zeiten durfte man nicht lange fackeln. In fünfzehn Jahren Praxis waren seine jugendlichen Träume von unermeßlichem persönlichen Wohlstand in Enttäuschung umgeschlagen. Das Fiasko mit der Kakerlake im Delicato-Joghurt war ein hervorragendes Beispiel für sein ständig wiederkehrendes sprichwörtliches Pech. Aber nun bot der geile Congressman Mordecai die erste realistische Chance zum Einkassieren einer siebenstelligen Summe.
Anfang der siebziger Jahre gehörte Mordecai zu den unzähligen Juraabsolventen, die nach Süd-Florida strömten und davon träumten, Drogenschmuggler für astronomische Honorare zu verteidigen. Er hatte sogar Spanisch gelernt in Erwartung seiner kolumbianischen Klientel! Aber Mordecai war in Miami angekommen, um dort nur eine deprimierend kleine Anzahl inhaftierter südamerikanischer Drogenbarone vorzufinden, und die Strafverteidiger schienen die Beklagten zahlenmäßig bei weitem zu
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