Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
Halsschlagader durchschnitt – Mr   Peake hatte sie gewarnt, dass das auf sie zukommen konnte –, doch als sie an Ort und Stelle eintraf, war der Hirsch bereits tot. Wenn sie ihn mitnahm, würden ihn weder Onkel Cal noch Billy bekommen.
    Sie schlang die Arme um Brust und Hals des Hirschs und versuchte ihn hochzuziehen, aber er war zu schwer. Immerhin gelang es ihr, sein Hinterteil anzuheben und ein Stück weit in ihr Boot zu hieven, aber das Vorderteil ließ sich nicht bewegen. Da kam sie auf die Idee, mit dem Kopf voraus unter den Rumpf des Tieres zu kriechen. Bäuchlings schlängelte sie sich im kalten Schlamm unter den toten Hirsch, bis sie sich ganz unter ihn geschoben hatte. Er roch nach Moschus und Urin, nach Blut, Erde, Moos und Schweiß. Mit seinem warmen Gewicht auf ihrem Nacken und Rücken glaubte sie zu ersticken, denn der Schlamm war nicht nur auf ihrer Jacke, ihrer Hose und in ihren Socken, sondern auch in ihrer Nase. Ihr fiel ein, dass Mr   Peake ihr eingeschärft hatte, sich vor dem Abdrücken zu beruhigen, indem sie Atem und Herzschlag verlangsamte. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte reckte sie den Kopf unter dem Kinn des Hirschs und rappelte sich langsam auf. Zuerst stemmte sie sich auf die Knie hoch, sodass sie das Tier wie einen blutigen Umhang trug. Dann richtete sie sich auf, und der Hirsch glitt von ihrem Rücken und fiel krachend in den Bug ihres Bootes The River Rose. Zwei Läufe hingen ins Wasser. Auf dem Heimweg erschwerte sein Gewicht das Rudern gegen die Strömung.
    Als Crane von der Arbeit kam, zerrte Margo gerade den warmen, weichen Körper ihres Zehnenders an den Geweihstangen aufs Flussufer.
    »Was, zum Teufel, treibst du da?«
    Sie hielt inne und sah ihn an.
    »Du musst mit dieser Abschlachterei aufhören, Kind.« Crane schüttelte den Kopf. »Wenn sie dich erwischen, brummen sie uns eine Geldstrafe auf, und die kann ich nicht bezahlen. Herrgott, ich wünschte, ich könnte mir jetzt einen Drink genehmigen, nur einen einzigen gottverdammten Drink.«
    Margo zerrte wieder an dem Hirsch, aber ein Hinterlauf hatte sich in ein paar Wurzeln verfangen. Sie zog und zog und wollte nicht loslassen aus Angst, er könnte das Flussufer wieder hinunterrollen, und sie müsste von vorn anfangen.
    »Hör mir zu«, sagte Crane. »Die Murrays kostet das nur einen einzigen Anruf, und wenn die Scheißbullen vom Staat Michigan hier aufkreuzen und das Fleisch in unserer Kühltruhe finden, kriegen wir Probleme.«
    Er musste sich keine Sorgen machen, das wusste Margo. Cal hatte Crane auch nicht angezeigt, nachdem er ihm neulich die Reifen zerschossen hatte. Sie konnte nicht erwarten, dass ihr Vater verstand, warum sie die Hirsche schießen musste – sie verstand es ja nicht einmal selbst –, aber wenn ihr einer vor den Lauf kam, musste sie abdrücken, das war für sie so natürlich und lebensnotwendig wie der nächste Atemzug.
    Als Margo sich weiter abmühte, sprang Crane hinunter ans Ufer und befreite Huf und Vorderlauf aus dem Wurzelgewirr. Kopfschüttelnd schob er den Hirsch die Böschung hinauf und half Margo anschließend, ihn mit dem Seilzug hochzuziehen.
    »Du schießt wie der Teufel! Ich habe keine Ahnung, woher du so gut zielen kannst, aber wenn du schießt, dann triffst du auch.« Er klopfte ihr auf den Rücken, wischte ein wenig Schmutz von ihrer Schulter und ließ den Arm dort liegen. »Hast du dich mit diesem Hirsch im Schlamm gewälzt?«
    Margo lächelte. Es war das erste Mal, dass er den Arm um sie legte, seit sie vergangenen Monat bei dem von der Landjugend veranstalteten Zielscheibenschießen mit Randfeuermunition den ersten Preis gewonnen hatte. Sie hatte danebengestanden, als Mr   Peake zu ihrem Vater gesagt hatte, ihre Schießkünste seien unheimlich und grenzten an ein Wunder, wenn man bedenke, dass sie mit Cranes alter einschüssiger Remington 510 über Kimme und Korn schoss.
    »Eins darfst du nie vergessen, Margo: Du bist der einzige Grund, warum ich trocken und überhaupt noch auf dieser Welt bin.« Er hob schnuppernd die Nase und schnüffelte dann an ihrer Jacke. »Du siehst aus wie ein Engel, aber du riechst wie ein brunftiger Bock.«
    Als er ins Haus ging, um sein Messer zu holen, schnupperte auch Margo an ihrem Ärmel. Sie blickte über den Fluss und sah Billy aus der Scheune kommen und den schweren Schweinegrill – einen längst durchgefrästen Tausend-Liter-Heizöltank – an den Füßen Stück für Stück über den gefrorenen Boden ziehen. Margo konnte von Glück reden,

Weitere Kostenlose Bücher