Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
Vom Netzwerk:
Wildbret holen. Er zahlt dir auch was dafür.«
    Margo nickte.
    »Das Geld kannst du behalten. Du hast es dir verdient. Bestimmt kannst du es für Munition gebrauchen. Aber ich kann nicht zulassen, dass du noch mehr Hirsche schießt, Margo. Deshalb nehme ich dir das Gewehr weg. Das kleine muss ich dir nicht auch noch wegnehmen, oder? Niemand schießt mit Kaliber .22 auf Hirsche, aber ich fürchte, du schon.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Versprich es mir, los, sonst nehme ich es dir auch noch weg.«
    »Ich verspreche es«, sagte sie leise.
    »Ich schätze, du brauchst eine Waffe zum Schutz, falls einer von den Murrays hier aufkreuzt«, sagte er. »Aber benutze sie nur, wenn du keine andere Wahl hast. Denk nach, bevor du abdrückst. Überleg dir die Folgen.«
    Margo nickte.
    »Und geh bloß nicht zu dieser Party. Wenn du auch nur einen Fuß auf das Grundstück der Murrays setzt, fahre ich rüber und schleife dich am Ohrläppchen nach Hause.«
    Wieder nickte sie, aber sie hatte keine Ahnung, wie lange sie das Eingesperrtsein noch ertragen würde. Im nächsten Sommer, das schwor sie sich, würde sie schwimmen gehen – egal, was ihr Vater sagte.
    »Ich bin um sieben wieder zu Hause. Dann essen wir zu Abend, Margo. Es ist noch Truthahn übrig, und ich versuche, im Laden in der Feinkostabteilung einen Apfelkuchen aufzutreiben. Ich gebe mein Bestes. Du weißt, dass du der einzige Grund bist, warum ich noch auf dieser Welt bin, stimmt’s?« Er schob das Gewehr in sein Futteral, klappte in seinem Pick-up den Sitz nach vorn und verstaute es dahinter. Margo war dankbar für seine Zuneigung, aber es war auch ganz schön schwer, der einzige Grund zu sein, der einen anderen Menschen am Leben hält.
    Nachdem Crane zur Arbeit gefahren war, holte Margo die Remington und schoss auf eine Zielvorrichtung, die sich von allein zurückstellte. Ihr Vater hatte sie in seinem alten Job für sie zusammengeschweißt. Sie bestand aus einer Leiste mit vier nach unten hängenden Zielscheiben, die bei einem Treffer hochklappten, und wenn Margo dann oben auf die fünfte Scheibe schoss, klappten alle vier wieder nach unten. Margo machte zwanzig Durchgänge, ohne ein einziges Mal danebenzuschießen, nach jedem Schuss musste sie nachladen. Sie hatte sich die gelben Schaumgummistöpsel ins Ohr gesteckt, die Mr   Peake ihr dringend ans Herz gelegt hatte. Er hatte ihr einen großen Plastikbeutel voll Ohrstöpsel geschenkt, zusammen mit einem Stapel Pappscheiben. Anschließend holte sie den kleinen Rasierspiegel aus dem Bad, hielt ihn an den Gewehrkolben und schoss in Nachahmung eines Tricks von Annie Oakley über die Schulter. Nachdem rund zwanzig Fehlschüsse in die Flanke des Hangs eingeschlagen waren, traf sie die auf einem Stück Sperrholz befestigte Zielscheibe ins Schwarze und dann noch zehnmal in Serie. Vom Schießen wurde ihr so warm, dass sie den Reißverschluss der Carhartt-Jacke ihres Vaters, die sie sich unter den Nagel gerissen hatte, aufziehen musste. Mittags setzte sie sich ans Flussufer und aß ein Sandwich mit Spiegelei. Das Brot stammte aus dem Laden. Joanna hatte für das Fest bestimmt ein Dutzend Laibe und für das morgige Frühstück ein Zimtbrot gebacken. Margo legte an und nahm quer über den Fluss jeden eintreffenden Gast ins Visier. Als der Wind ein paar Stunden später drehte, konnte sie das gebratene Fleisch riechen. Und sie hörte Musik aus den draußen aufgestellten Lautsprechern. Gerade zielte sie auf Billy, als eine Männerstimme sie zusammenzucken ließ.
    »Hast du vor, ein paar Partygäste abzuknallen?«, fragte der Mann. Er saß auf dem Fahrersitz eines rund sechzehn Fuß langen MerCruisers und trieb mit dem Boot auf sie zu. Sie war so mit Zielen beschäftigt gewesen, dass sie es nicht hatte kommen hören. Margo ließ das Gewehr sinken und ging auf den Steg. Als das Boot nah genug war, streckte sie den Arm aus, um es heranzuziehen. An Bord befanden sich drei Männer. Zwei von ihnen hatten Bärte und lockiges schwarzes Haar; sie sahen sich so ähnlich wie ein Ei dem anderen. Der Dritte, der dünner und blond war, lag quer auf der Rückbank und schlief. Der Schwarzhaarige am Steuer war Brian Ledoux, ein Freund ihres Großvaters, obwohl er in Cranes Alter war. Der Mann neben ihm war genauso ein Riese wie er, hatte aber blasse Haut, wodurch sich sein dunkles Haar noch stärker abhob. Seine Augen hatten einen seltsamen Ausdruck.
    »Du hast einen Hirsch für mich?«, fragte Brian.
    Sie zeigte auf das Tier, das ausgeweidet

Weitere Kostenlose Bücher