Studio 6
raufkommen?
Schätzchen muss ein wenig schlafen, und wir können etwas plaudern.«
Annika erinnerte sich mit Schrecken an Daniellas dünnen Kaffee. »Heute nicht«, sagte sie und lächelte. »Ich bin auf dem Weg nach Hause.«
Daniella sah sich schnell um und kam vertraulich näher.
»Sagen Sie mal, Sie sind doch von der Presse«, sagte sie mit betontem Flüstern. »Haben sie den Kerl jemals gekriegt?«
»Der Josefine getötet hat? Nein, das haben sie nicht.
Wenigstens nicht wegen des Mordes.«
Daniella seufzte.
»Das ist übel, dass der jetzt frei herumlaufen darf.«
»Die Polizei weiß, wer es ist«, erzählte Annika. »Sie werden ihn auf jeden Fall hochnehmen, wegen etwas anderem. Er wird ins Gefängnis kommen.«
Daniella Hermansson atmete auf.
»Gott, das ist schön zu wissen. Ja, also, dass es Christer sein sollte, das haben wir nie geglaubt.«
»Auch Ihre Nachbarin nicht, die Frau mit dem Hund?«
Daniella kicherte ein wenig, ein nervöses und unnatürliches Lachen.
»Also«, fing sie an, »erzählen Sie das bloß niemandem, aber Elna hat die Leiche schon um fünf Uhr morgens gefunden.«
Annika erstarrte und musste sich zwingen, ganz unbefangen auszusehen.
»Ach, ehrlich?«, fragte sie. »Wie denn das?«
»Der Hund von der Frau, haben Sie den gesehen, Jesper?
Total goldig. Wie auch immer, der Hund ist reingelaufen und hat das Mädchen gebissen, Tante Elna war total verzweifelt. Sie hat sich nicht getraut, die Polizei anzurufen, denn sie dachte, die würden Jesper ins Gefängnis bringen. Haben Sie so was Dämliches schon mal gehört?«
Daniella lachte gurrend, Annika schluckte.
»Nein«, erwiderte sie, »wirklich nicht.«
Schätzchen gab im Wagen einen lauten Brüller von sich, er war seine redselige Mutter leid.
»Jaja, mein Kleiner, wir gehen jetzt nach Hause, und dann kriegst du eine Banane, die magst du doch, mein Schmusebär, oder?«
Die Frau wippte die Kronobergsgatan hinunter bis zu ihrer Haustür. Annika sah ihr lange nach.
Es gibt für alles eine Erklärung, dachte sie.
Langsam ging sie in die andere Richtung, auf die Feuerwache zu. Sobald sie um die Ecke kam, sah sie die Streifenwagen, sie blockierten die ganze Hantverkargatan.
Sie blieb stehen.
Sie sind früh dran, dachte sie. Hoffentlich finden sie die Bücher. Sie nahm einen anderen Weg nach Hause.
Neunzehn Jahre, elf Monate und ein Tag
Das Raue an nackter Haut, die Luft schwer von Staub, der Sauerstoffverbraucht – mein Lebensraum ist auf die Größe eines Sarges zusammengeschrumpft. Der Deckel drückt mir auf den Kopf. Knie und Ellenbogen werden aufgerissen.
Tiefes Loch, dunkles Grab, Erdgeruch.
Panik.
Er sagt, ich hätte alles falsch verstanden. Ich hätte die Proportionen total verdreht. Es ist nicht das Leben, das zu klein ist, ich bin zu groß.
Seine Liebe ist unendlich. Er liebt mich trotz allem. Keiner kann mir das geben, was er mir gibt. Er hat nur eine Bedingung.
Er sagt,
dass er mich niemals
gehen lässt.
SONNTAG, 9. SEPTEMBER
Der Entschluss reifte über Nacht. Sie würde Schluss machen. Es gab ein anderes Leben, sie hatte endlich einen Weg herausgefunden. Die Situation erfüllte sie mit Wehmut und Trauer. So lange waren sie und Sven zusammen gewesen. Sie hatte noch nie mit einem anderen Mann geschlafen. Unter der Dusche weinte sie ein wenig.
Es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne war bleich und kalt. Sie machte Kaffee und rief beim Bahnhof an, in einer Stunde und zehn Minuten würde der nächste Zug nach Flen gehen.
Sie öffnete das Fenster im Wohnzimmer, setzte sich auf das Sofa und beobachtete die langsame Atmung der Gardinen. Sie würde hier bleiben dürfen. Sie würde ihr eigenes Leben leben dürfen.
Annika war aufgestanden, hatte die Jacke angezogen und war auf dem Weg nach draußen, als sie auf der anderen Seite der Tür Schlüssel klappern hörte. Sie erschrak, entspannte sich aber wieder, als sie sah, dass es Patricia war, die hereinkam.
»Hallo«, sagte Annika, »wo warst du?«
Patricia schloss die Tür behutsam hinter sich, blieb einen Moment lang mit der Klinke in der Hand stehen und sah dann auf.
»Wie konntest du nur?«, fragte sie gepresst.
Ihr Gesicht war erhitzt, die Augen rot geweint. Annika erschrak furchtbar, begriff aber sofort, was geschehen war.
»Du warst im Klub«, sagte sie. »Sie haben dich bei der Razzia erwischt!«
»Du hast mich verraten, du hast den Klub ruiniert, wie konntest du nur?«
Patricia kam mit zusammengekniffenen Lippen und Händen wie Klauen auf sie
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