Studio 6
da?«
Sie hatte das Auto erreicht, und als sie nach hinten sah, konnte sie den Fotografen die Rampe hinunterlaufen sehen. Er hielt die Kameras in der einen Hand, seine Fototasche baumelte über der Schulter, die Haare waren zerzaust.
»Die haben versucht, mir die Kleider vom Leib zu reißen«, sagte er entsetzt. »Und die Haare! Es war wirklich total bescheuert, zu ihnen zu gehen.«
»Halten Sie die Klappe, verdammt nochmal!«, brüllte Annika. »Setzen Sie sich ins Auto und fahren Sie uns hier weg!«
Er kriegte die Fahrertür auf, setzte sich hinein und machte auf der Beifahrerseite auf. Annika warf sich auf den Sitz, die Luft im Auto war kurz vor dem Siedepunkt.
Schnell drehte sie die Scheibe herunter. Erstaunlicherweise sprang das Auto gleich beim ersten Mal an, und Pettersson fuhr mit quietschenden Reifen die Ausfahrt hinauf. Auf der Straße schlug ihnen wieder das helle Licht entgegen, und Annika war für einen Moment geblendet.
»Da sind sie!«
Der Ruf drang durch ihr geöffnetes Seitenfenster, sie sah die Menge wie eine Wand auf sie zurollen.
»Jetzt fahren Sie doch!«, schrie sie und drehte schnell die Scheibe hoch.
»Das ist eine Einbahnstraße!«, brüllte der Fotograf. »Ich muss die Straße hoch und am Friedhof vorbeifahren.«
»Spinnen Sie?«, rief Annika. »Fahren Sie, fahren Sie!«
Pettersson schaffte es gerade noch auf die Kronobergsgatan hinaus, als das Auto stehen blieb. Annika drückte die Türverriegelungen hinunter und hielt sich die Ohren zu. Pettersson drehte wieder und wieder den Zündschlüssel. Der Motor sprang nicht an. Die Menge umringte sie, und einer versuchte auf das Autodach zu klettern. Die Jugendlichen schlugen mit den Fäusten von überall her auf das Metall, ihre Schreie bekamen einen anderen Charakter, wurden rhythmisch und bedrohlich:
»Verbrennt sie, verbrennt sie!«
Plötzlich sah Annika das
Abendblatt
vorbeiflattern, ihr Artikel über die Trauer in Täby wurde an die Windschutzscheibe gedrückt. Das Bild von den Mädchen vor ihren Gedichten hinterließ schmierige Spuren von Druckerschwärze auf der Scheibe.
»Verbrennt sie, verbrennt sie!«
Die Zeitung wurde auf der Motorhaube zusammengeknüllt und angezündet. Annika schrie laut und besinnungslos auf.
»Nun bringen Sie schon das verdammte Auto in Gang!
Fahren Sie, fahren Sie!«
Immer mehr Zeitungen fingen an zu brennen, vor allen Fenstern des Autos gingen die Bilder von Gedichten und Mädchen in Flammen auf. Das Auto schaukelte, es schien, als wollten sie es umstürzen. Das Dröhnen von den Fäusten wurde lauter, Pettersson schrie, und plötzlich sprang das Auto an. Es machte einen Satz vorwärts, der Fotograf legte den Gang ein und ließ den Motor aufheulen.
Er drückte auf die Hupe, und das Auto kroch langsam durch die Menschenmenge, die Leute sprangen vom Dach herunter. Annika legte den Kopf in den Schoß, schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu. Sie sah erst wieder hoch, als der Wagen in die Fleminggatan einbog.
Pettersson schluchzte. Er zitterte und konnte kaum mehr lenken. Sie fuhren in die Stadt hinüber und hielten an einer Imbissbude vor dem Trygg-Hansa-Haus.
»Wir hätten da nicht hingehen sollen«, klagte er.
»Jetzt hören Sie auf zu jammern«, gab Annika zurück.
»Getan ist getan.«
Ihre Hände zitterten, sie war erschöpft und wie gelähmt.
Der Fotograf war zwar nicht jünger als sie, aber dennoch fühlte sie, dass die Verantwortung für diese Situation bei ihr lag.
»Ist schon gut«, sagte sie etwas freundlicher. »Es ist ja gut gegangen.«
Sie suchte in ihrer Tasche nach einem ungeöffneten Paket Taschentücher.
»Jetzt putzen Sie sich mal die Nase«, beruhigte sie ihn, »und dann lade ich Sie zu einem Kaffee ein.«
Pettersson tat, was ihm gesagt wurde, dankbar, dass Annika die Entscheidung übernahm. Sie gingen zur Imbissbude hinüber, wo es auch Kaffee und Marzipanteilchen gab.
»Meine Güte, war das furchtbar«, sagte Pettersson leise und biss in ein Stück Marzipan. »So etwas Übles habe ich noch nie erlebt.«
Annika lachte trocken in sich hinein.
»Haben Sie’s gut«, sagte sie bloß.
Sie aßen schweigend und tranken ihren Kaffee.
»Sie sollten das Auto mal reparieren lassen«, meinte Annika schließlich.
»Das ist wohl wahr«, stimmte er zu.
Beide schenkten sich noch einmal Kaffee nach.
»Und was machen wir jetzt daraus?«, fragte Pettersson.
»Nichts«, entgegnete Annika, »und hoffen wir mal, dass auch kein anderer etwas daraus macht.«
»Wer sollte das
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