Studio 6
Mädchens, das ist ja klar, aber ich stehe der Familie doch nahe. Ihr Bruder ist ein sehr begabter Student, der jetzt im Frühjahr Abitur gemacht hat und im Herbst ein Studium in den USA aufnehmen wird. Wir vom Tibble-Gymnasium finden es sehr schön, wenn unsere Schüler den Weg einer höheren internationalen Ausbildung beschreiten.«
»Und wie war das, mitten in der Nacht diese furchtbaren Fragen gestellt zu bekommen?«
»Nun ja, ich war natürlich schockiert. Zuerst dachte ich, es sei etwas mit meiner Frau, die segelt nämlich …«
»Wie haben Sie reagiert?«
»Ja, ich weiß nicht recht …«
»Und es war dieselbe Reporterin, die sich auch Charlotta aufgedrängt hatte, Annika Bengtzon?«
»Ja, genau.«
Der Moderator raschelte mit einer Zeitung.
»Nun wollen wir mal sehen, was Annika Bengtzon geschrieben hat, und zwar …«
Der Mann fing an, in leicht amüsiertem Ton laut aus Annikas Artikeln über Josefine, ihre Träume und Hoffnungen, die Aussage von Charlotta und die Trauerorgie in Täby vorzulesen.
»Was sagen Sie dazu?«, schloss er mit Grabesstimme.
»Es ist so furchtbar, wenn man mit seiner Trauer nicht allein sein darf«, piepste Charlotta. »Dass die Massenmedien krisengeschüttelte Menschen einfach nicht in Ruhe lassen können. Und heute, bei unserer Demonstration gegen sinnlose Gewalt, hat sie sich uns wieder aufgedrängt!«
Martin Larsson-Berg räusperte sich.
»Nun«, fügte er ein, »man muss die Massenmedien auch verstehen, wir haben in Täby eine ausgezeichnete Krisenbewältigung durchgeführt und möchten natürlich auch gern ein Vorbild sein …«
Der Moderator schnitt ihm das Wort ab.
»Aber das
Abendblatt
und Annika Bengtzon haben sich damit nicht zufrieden gegeben. Die Zeitung hat darüber hinaus einen Versuch unternommen, den verdächtigen Minister Christer Lundgren reinzuwaschen. Somit hat sie sich vor den Karren der Sozialdemokratie spannen lassen und die Schuld auf den geschoben, der Josefine am nächsten stand, ihren Freund. Unser Reporter hat mit ihm gesprochen.«
Annika saß wie festgefroren im Stuhl. Kalter Schweiß lief ihr hinunter, alles war völlig unwirklich. Die Redaktion war voller Menschen, doch niemand sah sie an. Es gab sie nicht. Sie war bereits tot.
»Ich habe Josefine geliebt, sie war das Wichtigste für mich«, sagte eine helle Männerstimme, die jung und verletzlich klang.
»Was haben Sie empfunden, als Sie im
Abendblatt
als Mörder verurteilt wurden?«, fragte der Reporter vorsichtig.
»Ja, also, das kann man gar nicht beschreiben. Was soll ich da sagen? Zu lesen, dass man … nein, das ist nicht zu fassen.«
Und er schluchzte tatsächlich.
»Haben Sie in Erwägung gezogen, die Zeitung anzuzeigen?«
Weiteres Schluchzen.
»Nein, das bringt doch nichts. Diese Riesenkonzerne geben doch so viel Geld aus, wie sie wollen, um einen kleinen Menschen zu zerquetschen. Ich würde vor Gericht niemals Recht bekommen. Außerdem würde das viel zu viele Erinnerungen wachrufen.«
Der Moderator kehrte zurück, diesmal mit einem anderen Reporter, der offenbar als eine Art Experte diente.
»Ja, das ist tatsächlich ein Problem, oder?«, fragte der Moderator. »Ja, ganz richtig«, erwiderte der Experte besorgt. »Ein junger Mann wird von einer Sommervertretung, die ausgezogen ist, um Journalistin zu spielen, und dann die Lüge als Wahrheit darstellt, zum Mörder abgestempelt. Da bekommt man selten Recht. Es kostet viel Geld, sich in einem Gerichtsverfahren gegen eine Zeitung durchzusetzen, aber wir wollen dennoch darauf hinweisen, dass alle, die sich von den Medien unterdrückt oder verleumdet fühlen, eine Rechtsberatung erhalten können, um lügenden Journalisten das Handwerk zu legen.«
»Wäre das auch in Joachims Fall eine Möglichkeit?«
»Ja, das wäre möglich. Man kann nur hoffen, dass er die Kraft hat, die Sache vor den Richter zu bringen. Es wäre interessant, diese Angelegenheit zu einem Präzedenzfall zu machen.«
Der Moderator raschelte mit seinen Papieren.
»Aber warum macht eine junge Sommervertretung so etwas?«
»Ja, einerseits natürlich, weil sie bereit ist, alles zu tun, um eine feste Stellung bei einer Abendzeitung zu bekommen. Die Abendpresse lebt vom freien Verkauf, und je reißerischer die Aufmacher sind, desto mehr Zeitungen werden verkauft, und desto mehr Geld wird verdient. Die Journalisten, die sich auf dieses Arbeitsniveau herablassen, leben ausgesprochen gut von ihren schmutzigen Machenschaften, so ist es leider.«
»Also, je
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