Stürmische Eroberung
sie wird immer etwas gegen mich haben. Trotzdem dürfen wir uns nicht allzu sehr beschweren. Es war großzügig von Tante Julia, uns aufzunehmen, als Vater starb und so kurz danach auch ihr eigener Gemahl. Das war für sie eine schwere Zeit. Erst hat sie den Bruder und dann den Mann verloren. Trotzdem hoffe ich, dass wir jetzt bald mit Thomas nach Hause zurückkehren."
"Ja, ich auch, Prudence, ich auch. Obwohl ich mir gar nicht auszumalen wage, in was für einem Zustand das Haus jetzt sein mag, nach all dieser Zeit."
Ihr Haus in Marlden Green hatte zwar die Jahre des Bürgerkriegs unbeschadet überstanden, doch da ihr Vater nicht bereit gewesen war, für die Bildung des Parlaments zu stimmen, war er mit hohen Abgaben belegt worden, und Teile seines Besitzes hatte man beschlagnahmt. So war die Familie Fairworthy verarmt. Bei seinem Tod vor einem Jahr hatte die Tante die mittellosen Mädchen bei sich aufgenommen.
"Schon als wir auszogen, war das Haus halb verfallen", fuhr Arabella fort. "Es regnete durchs Dach, und der Garten wird inzwischen vollkommen überwuchert sein. Ein richtiger Urwald."
Prudence lächelte selig. "Was das Haus angeht, werde ich kaum viel tun können. Aber beim Garten ist das etwas anderes. Ich habe mir bei Mr. Rowan Ratschläge geholt und bereits eine Skizze für die Pflanzungen entworfen."
Die Begeisterung der Schwester amüsierte Arabella. "Das überrascht mich, ehrlich gesagt, nicht. Doch denk daran, all das kostet Geld. Und wir sind immer noch so arm wie nach dem Bürgerkrieg. Wahrscheinlich wird Thomas sich keinen Gärtner leisten können, bevor das Haus nicht wenigstens einigermaßen bewohnbar gemacht wurde."
"Ich weiß, und deshalb habe ich in Tante Julias Garten ja auch Samen und Stecklinge gesammelt."
"Damit war sie hoffentlich einverstanden?"
"Aber ja. Ich habe genug beisammen, um einen ganzen Park anzulegen."
Die beiden Schwestern betraten die große Küche, in der Tante Julia und die Köchin schon seit einer vollen Woche mit den Vorbereitungen für das Festmahl beschäftigt waren. Früher hätte eine Dame von Julias Stand niemals solch niedere Arbeiten verrichtet, aber jetzt taten adlige Frauen viele Dinge, die vor dem Bürgerkrieg noch ganz undenkbar gewesen wären.
Prudence lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die köstlichen Düfte in der Küche roch. Auf jeder freien Fläche waren Speisen abgestellt: Pasteten, ein Frikassee aus Huhn und Kaninchen, Hummer, Karpfen, verschiedene Käse und Zuckerwerk. Gerade wurden noch die letzten Fleischstücke über dem offenen Feuer geröstet, die ein rotwangiges Küchenmädchen immer wieder mit einer würzigen Soße begoss.
Schnell stibitzte Prudence eine kleine Pastete, als die Köchin ihr den Rücken zuwandte. Gerade wollte sie damit auf ihr Zimmer entschwinden, da erschien Cousine Mary in der Tür und versperrte ihr den Weg.
Verächtlich hob Mary die Brauen und musterte Prudence von Kopf bis Fuß. Den kalten grauen Augen entging nichts. Marys Blick verweilte kurz auf dem kleinen Riss im Rock, an dem einer der Rosenbüsche schuld war. "Du hast dich wirklich gar nicht verändert, Prudence. Wie ich sehe, verbringst du den lieben langen Tag noch immer über Pflanzenkübel gebeugt. Andere junge Frauen achten wenigstens auf ihr Aussehen. Verschwinde und mach dich sauber, bevor du zu uns auf den Balkon kommst."
Prudence ertrug den Tadel mit gut gelauntem Gleichmut. "Es wird wohl mehr als Wasser und Seife brauchen, um eine Dame aus mir zu machen, Mary, aber ich werde mich dennoch bemühen. Tatsächlich wollte ich gerade aus ebendiesem Grund hinauf." Sie lächelte, wobei sich niedliche Grübchen in ihren Wangen zeigten. Dann steckte sie die Pastete in den Mund und ging davon, während sie sich die zuckerklebrigen Finger ableckte. Die kastanienbraunen Locken wippten bei jedem Schritt.
Voller Missbilligung sah Mary ihr nach. Als sie sich umdrehte, stand Arabella hinter ihr. Mary verdrehte die Augen und erklärte seufzend: "Je eher das Mädchen verheiratet ist, desto besser für uns alle." Damit schritt sie hoch erhobenen Hauptes von dannen.
Tatsächlich war Mary erst dreißig Jahre alt, aber die betont schlichte Kleidung und die unvorteilhafte Frisur ließen sie weit älter erscheinen. Zudem fehlten der Cousine jede Wärme und Lebhaftigkeit, wie Prudence des Öfteren betonte. Mary, die nun zum vierten Mal schwanger war, lebte mit ihrem Gemahl Philip, einem Tuchhändler, und den Kindern in einem dreigeschossigen Haus in Bishopsgate.
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