Stürmisches Wiedersehen auf Maynard Manor (German Edition)
warten würde. Doch sie wurde erneut enttäuscht.
Ach Ian, dachte sie, warum bist du nicht da, wenn ich dich brauche?
Sir Gregory saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne am Kamin. In seinem Jackett aus dunkelgrünem Samt wirkte er sehr ehrwürdig, doch sein Gesicht war eingesunken, und ein Mundwinkel hing ein wenig herab. Chloé hatte den Eindruck, als sei er irgendwie geschrumpft.
Vielleicht wirkte er aber auch im Vergleich zu dem hochgewachsenen jungen Mann neben ihm klein. Darius trug einen anthrazitfarbenen Anzug und eine Weste aus hellgrauem Brokat und ließ einen Arm lässig auf der Rückenlehne von Sir Gregorys Stuhl ruhen.
Lächelnd kam er auf sie zu. „Mrs Jackson, Mr Jackson, wie schön, Sie wiederzusehen.“ Sie schüttelten einander die Hand, dann ließ Darius den Blick zu Chloé gleiten.
„Hallo, Chloé“, sagte er und neigte höflich den Kopf.
„Guten Abend“, erwiderte sie ein wenig atemlos und ging zu ihrer Tante und ihrem Onkel, die Sir Gregory begrüßten. Ein wenig zu abrupt wandte sie sich dann ab, um mit dem Arzt Dr Vaughan und seiner Frau zu sprechen. Auch der Pfarrer und Mrs Squires waren anwesend, ebenso der Abgeordnete von Willowford mit Ehefrau. Nachdem Chloé alle begrüßt und sich von den herumgereichten Tabletts ein Glas Orangensaft genommen hatte, fühlte sie sich schon ein wenig wohler. Richtig entspannen werde ich mich aber erst, wenn Ian da ist, dachte sie.
Als die Tür des Salons aufging, wandte sie sich hoffnungsvoll um, doch es war Lindsay Watson, die eintrat. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit gestärktem weißen Kragen und weißen Manschetten. Das Haar hatte sie sich zu einem strengen Knoten zusammengefasst. Chloé bemerkte, dass die Augen der jungen Frau stark glänzten und ihr Gesicht gerötet war.
Wahrscheinlich ist sie nervös, weil sie die neue Lady Maynard werden möchte und alle Anwesenden das wissen, dachte Chloé und trank einen Schluck Saft, denn ihr Mund war plötzlich ganz trocken.
Lindsay ging direkt zu Sir Gregory, der nickte und mühsam lächelte.
„Was ist eigentlich mit Ian los?“, fragte Onkel Hal ein wenig ungehalten. „Ich wollte ihn anrufen, habe hier drinnen aber keinen Empfang.“
„Ich gehe auf die Terrasse und schicke ihm eine SMS“, erwiderte Chloé schnell. „Vielleicht gab es ja einen Notfall?“
„Und warum hat er dann nicht Bescheid gesagt?“
Ihr fiel keine Antwort auf Onkel Hals berechtigte Frage ein. Also ging sie hinaus und wollte gerade eine Nachricht schreiben, als sie unten auf dem Kiesweg Schritte hörte. Es war Ian, der um die Ecke des Hauses bog und sich mit düsterer Miene näherte.
Chloé beugte sich über das Geländer und rief ihm zu: „Ian, wo warst du denn die ganze Zeit? Und warum kommst du aus dieser Richtung?“
Ian zuckte zusammen. „Oh, hallo, Chloé.“ Er lachte verlegen. „Ich habe bei den Ställen geparkt – die Macht der Gewohnheit.“
Sie atmete tief ein. „Zum Glück bist du endlich da. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“
„Ich hatte einfach viel zu tun und habe nicht auf die Zeit geachtet.“ Ian klang fast ein wenig gereizt.
„Das verstehe ich schon“, beschwichtigte Chloé ihn. Doch in Wirklichkeit hatte sie jetzt noch mehr Angst und sehnte sich danach, dass Ian sie in die Arme nahm und ihr versicherte, alles werde gut. Wie gern wäre sie Hand in Hand mit ihm zu den anderen Gästen gegangen. Doch ihr war klar, dass dies nicht passieren würde. Ian war da, und trotzdem war sie allein.
Chloé musste daran denken, wie Darius sie mit seinen grünen Augen über die anderen Gäste hinweg kühl angesehen hatte. Sie verdrängte den Gedanken und sagte energisch: „Also gut. Dann auf zum Essen!“
Das Essen war so himmlisch, dass Chloé eine Weile lang ihr Unbehagen vergaß und einfach die Köstlichkeiten genoss.
Ian saß ihr gegenüber neben Lindsay Watson. Die beiden schienen einander wenig zu sagen zu haben, er unterhielt sich angeregt mit Mrs Burton, die auf seiner anderen Seite saß. Chloé bemerkte, dass Ian dem ausgezeichneten Wein mehr zusprach, als klug war.
Am Kopfende der Tafel unterhielt Darius sich mit seinen Tischnachbarinnen, Tante Libby und Mrs Vaughan. Chloé verspürte während des Essens eine Art intensives Kribbeln und wusste, dass er sie ansah. Mit aller Macht gab sie sich ungerührt und erlaubte sich keinen einzigen Blick in seine Richtung.
Immer wieder musste sie jedoch an den Fetzen eines Gesprächs zwischen Darius und Lindsay denken, den sie unbeabsichtigt
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